1. Rettungsstation in Wien eröffnet

Manchmal sind es veritable Katastrophen, die letztlich doch etwas positives Auslösen – etwa die Gründung des Roten Kreuzes nach der Schlacht von Solferino durch die Initiative Henry Dunants – oder eben die Gründung der Wiener Rettungsgesellschaft nach dem verheerenden Brand des Ringtheaters im Jahre 1881. Damals fanden bei einer der schlimmsten Brandkatastrophen die Wien je erlebte mindestens 386 Menschen den Tod, die genaue Zahl allerdings konnte niemals wirklich eruiert werden. (https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Ringtheaterbrand) Zu den baulichen Mängeln des Theaters waren damals Versäumnisse und mangelnde Ausrüstung bei der Rettung der in den Flammen eingeschlossenen gekommen, was in der Folge zu einer Vielzahl von Reformen führte. Eine davon war die Gründung der – zunächst freiwilligen – Wiener Rettungsgesellschaft gewesen. Weniger als zwei Jahre später, am 1. Mai 1883, konnte auch die erste Rettungsstation eröffnet werden.

Bis ins späte 19. Jahrhundert war der Krankentransport eine prekäre – und für die Kranken und Verletzten nicht immer ungefährliche Angelegenheit. Laternenanzünder, Leichenträger oder Hausmeister wurden als Krankenträger eingesetzt und die Patienten mit Tragbahren, Tragsesseln oder mit sonstigen, nur wenig tauglichen Mitteln transportiert. Daher hatte Baron Dr. Jaromir Mundy, der bereits an verschiedenen Kriegsschauplätzen den Transport verwundeter organisiert hatte, schon länger den Gedanken einer Rettungsorganisation verfolgt. Der Ringtheaterbrand war letztlich ausschlaggebend für die tatsächliche Gründung. Gemeinsam mit Graf Hans Josef Wilczek und dem Oberstaatsanwalt Graf Eduard Lamezan rief er nur einen Tag nach der Katastrophe ein Komitee von achtbaren Herren der Wiener Herren ins Leben, das die Gründung einer Rettungsgesellschaft in die Wege leitete. (Regal/Nanut S. 88f. u. Encyclopädische Jahrbücher S. 470f.)

Diese Rettungsgesellschaft sollte sowohl die Feuerwehr mit freiwilligen Mannschaften und zusätzlicher Ausrüstung unterstützen als auch eine „Wasserwehr“ und die Erste-Hilfe-Leistung bei Unglücksfällen ermöglichen. Die Gründer selbst erlegten zur Finanzierung jeweils mindestens 1.000 Gulden, weitere Förderer je 500 Gulden. Alle Wiener, die die „nöthigen moralischen und physischen Eigenschaften“ besäßen, waren als freiwillige Kräfte willkommen. Ab Ende 1882 unterrichtete der Chriurg Dr. Mosetig Erste-Hilfe und eine Sanitäterausbildung an Medizinstudenten wurde begonnen. Auch ein freiwilliger Hilfsdienst für den Kriegsfall wurde organisiert. (Encyclopädische Jahrbücher S. 471f.)

Für den Krankentransport konstruierte Mundy eigene Ambulanzwägen, die bereits ab Ende Jänner 1882 von der Firma Lobner gebaut wurden. Am 24. April 1882 wurde damit – mit gemieteten Fiakerpferden – der erste Krankentransport durchgeführt. (Regal/Nanut S. 89)

Am 1. Mai 1883 war es endlich so weit. Nun stand genügend ausgebildetes Personal zur Verfügung, dass nicht mehr nur Sanitätstransporte durchgeführt werden konnten, sondern auch ein Rettungsdienst zur Verfügung stand. In dem Gebäude Ecke Fleischmarkt/Rotenturmstraße wurde die erste Rettungsstation eröffnet. 97 Medizinstudenten und 36 Nichtmediziner bestritten dort den Permanenzdienst. Auch Mundy selbst war im Einsatz. Er diente als Kutscher ebenso wie als Arzt und war sich für keine Arbeit zu schade. Er sorgte, da er gleichzeitig auch Chefarzt der Malteser war und somit Zugang zum malteserroten Stoff hatte auch für die Ausstattung der Mitarbeiter der Rettung mit roten Kappen. (Regal/Nanut S. 89f.) Darüber hinaus sorgten Mundy und sein Team auch für eine damals bahnbrechende Ausstattung. Schon 1883 errang die Ausrüstung der Wiener Rettungsgesellschaft auf der Berliner Hygieneausstellung die Goldmedaille. (Encyclopädische Jahrbücher, S. 473.)

Doch offenbar erkannten die Zeitgenossen zu diesem Zeitpunkt die Bedeutung und Tragweite dieses Schrittes einer Tag und Nacht besetzten Rettungsstation nicht gleich. Denn von den Wiener Zeitungen blieb dieses Ereignis nämlich weitgehend unbemerkt. Die Presse und die Wiener Zeitung berichteten lediglich darüber, dass nun an der Adresse der Rettungsstelle ein leicht zugänglicher Aushang über die freien Betten der Wiener Krankenhäuser zu finden sei. So hieß es dort in beiden Blättern wortgleich:

„Von heute, den 1.Mai, ist an einem dem Publicum sehr leicht zugänglichen Orte, nämlich unter der Einfahrt des Hauses Stadt, Fleischmarkt 1, in der Sanitätsstation der Wiener freiwilligen Rettungs=Gesellschaft eine große Tafel angebracht, auf welcher täglich um 9 Uhr früh, 2 Uhr Nachmittags und 7 Uhr Abends die freien disponiblen Betten für männliche und weibliche (medicinische und chirurgische Fälle) Kranke oder Verletzte genau verzeichnet finden. Eine wahre Wohltat für das hilfesuchende Publicum. (Wiener Zeitung Nr. 100/1883 und Presse Nr. 119/1883)

Trotzdem wurden die Dienste der Rettungsgesellschaft in den kommenden Jahren gerne in Anspruch genommen und bereits sechs Jahre nach der Eröffnung dieser ersten Rettungsstation wurde eine neue Zentralstation am Stubenring – ausgestattet mit 17 Pferdewagen – in Betrieb genommen. (Berufskunde S. 26) Allein in den ersten 10 Jahren ihres Bestehens konnte die Freiwillige Rettungsgesellschaft bei über 40.000 Unglücksfällen Hilfe leisten und das obwohl man ihr von Seiten der Bevölkerung teilweise noch recht skeptisch gegenüberstand. Sogar Beschwerden etwa über zu schnelles und lautes Fahren oder den Gebrauch von Signalpfeifen gab es! (Encyclopädische Jahrbücher, S. 474)

Wohl auch deswegen blieb die Finanzierung des sowohl ehrenwerten wie ehrgeizigen Projekts schwierig, was die Gesellschaft in den ersten Jahren ihres Bestehens immer wieder an den Rand der Auflösung brachte  (Encyclopädische Jahrbücher, S. 474) obwohl es durchaus auch prominente Unterstützer gab. So sang Alexander Girardi bei einem Wohltätigkeitsfest zugunsten der Rettungsgesellschaft zum ersten Mal das berühmte Fiakerlied und Johann Strauß komponierte den Marsch „Freiwillige vor!“ (Regal/Nanut S. 90) und Pauline Metternich veranstaltete ihr „Frühlingsfest im Prater“ zugunsten der Rettung. (https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rettungswesen) Städtische Zuschüsse gab es erst nach dem ersten Weltkrieg. (Regal/Nanut S. 90f.)

Die erste Rettungsstation bestand bis fast auf den Tag genau sechs Jahre – bis zum 30. April 1889. (https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rettungswesen)

Das Gebäude in dem sich die geschichtsträchtige erste Rettungsstelle befand wurde wenige Jahre später abgerissen und 1909 durch den noch heute zu bewundernden Jugendstilbau von Arthur Baron ersetzt. (https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rotenturmstraße_20)

Foto: ©www.vienna-city-guide.at

 

Quellen und Infos:

 

Arbeiter-Samariter-Bund (Hrsg.), Berufskunde für den Österreichischen Sanitäter, Wien 2012.

Albert Eulenburg (Hrsg.), Encyclopädische Jahrbücher der gesamten Heilkunde, 3. Jahrgang, Wien/Leipzig 1893.

Wolfgang Regal/Michael Nanut, Medizin im historischen Wien. Von Anatomen bis zu Zahnbrechern, Wien 2005.

 

Die Presse, Nr. 119, 2. Mai 1883.

Wiener Zeitung, Nr. 100, 2. Mai 1883.)

 

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rettungswesen

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rotenturmstra%C3%9Fe_20

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Ringtheaterbrand

https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_Dunant