Der tödliche Sturz des ersten Österreichischen Herzogs

Am 29. November 1176 stürzte Heinrich II. Jasomirgott mit seinem Pferd während eines Feldzuges auf einer vereisten Brücke und zog sich einen schweren Bruch des Oberschenkels zu.[1] Heinrich war gegen die Böhmen ins Feld gezogen, die das Herzogtum angriffen. Obwohl Heinrich immer treu an der Seite Kaiser Barbarossas gestanden hatte, hatte dieser den Herzog gegen die Böhmen nicht unterstützt und da gleichzeitig auch Ungarn und die steirischen Otakare gegen die Babenberger mobil machten, sah Heinrich sich zu einem Befreiungsschlag genötigt und ging das Risiko eines Winterfeldzuges ein.[2]

Die Verletzung, die er sich dabei zuzog, war allerdings das Todesurteil für den fast 70-jährigen, ersten Herzog Österreichs. Die Medizin des 12. Jahrhunderts konnte den Tod des Babenbergers nicht verhindern, doch der lange Leidensweg des Patienten – er starb erst etwas mehr sechs Wochen später im Jänner 1177 - war aus mittelalterlicher Sicht nicht schlimm – im Gegenteil, ermöglichte er ihm doch, sich für den Tod zu rüsten. Die Kunst des Sterbens erforderte es schließlich einerseits, seine weltlichen Dinge in Ordnung zu bringen, andererseits sich als Christenmensch auf das Jenseits vorzubereiten. Denn nichts fürchtete man so sehr, wie einen plötzlichen Tod, der es unmöglich machte, die Beichte abzulegen und die Krankensalbung zu erhalten. Sein Vater Leopold III etwa war so plötzlich gestorben - angeblich wurde er während einer Jagd erschlagen, was aber eher unwahrscheinlich ist - dass der Papst sicherheitshalber der Witwe die Absolution schriftlich bestätigte.[3]

Heinrichs II. Alter wurde von den Zeitgenossen als ohnehin nahezu biblisch angesehen. Kein Wunder bedenkt man, dass der durchschnittliche mittelalterliche Mann 47, eine Frau gar nur 44 Jahre alt wurde – zumindest diejenigen, die überhaupt die ersten Monate und Jahre der Kindheit überlebt hatten.[4] Das galt durchaus nicht nur für den gewöhnlichen Menschen sondern auch für das Herrschergeschlecht der Babenberger. Allein von Heinrichs möglicherweise 16 Geschwistern aus der Ehe Leopolds III. mit Agnes von Waiblingen starben wahrscheinlich einige noch als Kinder[5] - von einigen sind die genauen Geburtsdaten unbekannt oder umstritten, da zu dieser Zeit niemand ein genaues Geburtsdatum festhielt[6] – die, deren Daten wir relativ gesichert kennen, wurden im Durchschnitt jedenfalls gerade einmal 40 Jahre alt. Heinrich, der mit rund 70 Jahren noch im Stande war, zu Pferd einen Feldzug anzuführen, war also durchaus herausragend.

Heinrich II. Jasomirgott war aber – obgleich sein Urteil in der Nachwelt nicht immer das beste war[7] - in vielfacher Hinsicht ein außergewöhnlicher Mensch gewesen, obwohl er natürlich in der Wahrnehmung der Nachwelt immer im Schatten seines Vaters, des heiliggesprochenen Leopolds III. stand und steht.

Ungewöhnlich ist jedenfalls sein Beiname „Jasomirgott“, der sich doch sehr von Beinamen wie „der Große“, „der Tugendreiche“, „der Heilige“ und dergleichen unterscheidet, wie sie Herrscher gewöhnlich erhielten. In der Schule lernen die meisten von uns, der Name Jasomirgott, sei auf den vom Herzog häufig gebrauchten Ausruf „Ja so mir Gott helfe!“ zurückzuführen. Was aber insofern eigenartig ist, als sich Heinrich nicht sonderlich durch religiösen Eifer ausgezeichnet hatte. In der modernen Forschung wird vielmehr davon ausgegangen, dass der Name auf eine verballhornte arabische Bezeichnung des Herzogs während eines Kreuzzugs zurückzuführen ist. Der arabische Chronist Ibn el Furât nennt ihn nämlich „Jâsan elkund Harrî“.[8]

Bei der Nachfolge seines Vaters zeigt sich gleich die nächste Ungewöhnlichkeit. Denn nicht Heinrich, der beim Tod des Hl. Leopold ca. 29 Jahre alt war, sondern sein wahrscheinlich ein Jahr jünger Bruder Leopold IV. wird zum Markgrafen von Österreich. Die Gründe dafür nachzuvollziehen, ist aus einer Entfernung von fast 900 Jahren freilich kein einfaches Unterfangen, zumal die Historiographie bislang fast immer der in Klosterneuburg zu Ehren Leopolds III. verfassten Chronik folgt, in der es heißt, Heinrich sei vom Vater schlicht einfach weniger geliebt worden.[9] Tatsächlich scheint es aber so zu sein, dass ursprünglich durchaus der älteste Bruder Adalbert (aus der ersten Ehe Leopolds III.) zum Nachfolger des Vaters bestellt werden sollte, wogegen sich dann allerdings die streitbare Agnes von Waiblingen, die zugunsten ihres Sohnes Leopold IV. intervenierte, aussprechen sollte. Der Name Heinrichs II. wird in den diversen Quellen zur Nachfolge gar nicht genannt. Dies scheint aber nicht an der „geringeren Liebe“ gelegen zu sein, sondern schlicht daran, dass Heinrich zu der Zeit als es darum ging die Nachfolge seines Vaters zu regeln, schlicht hunderte Kilometer entfernt gewesen sein dürfte. Er weilte wohl schon Jahre zuvor am Rhein, um dort das salische Erbe seiner Mutter Agnes – sie war immerhin Tochter des Kaisers Heinrich IV. gewesen - zu wahren und zu verwalten! Als nach dem Tod des Vaters der Konflikt zwischen den Brüdern Albrecht und Leopold um die Nachfolge ausbrach, war Heinrichs Rolle am Rhein so gefestigt, dass er keine Veranlassung sah, sich in den Streit einzumischen.[10] Wenige Jahre danach belehnte ihn dort sein Halbbruder König Konrad III (er stammte aus der ersten Ehe Agnes mit Friedrich I. von Schwaben) mit der Würde eines Pfalzgrafen bei Rhein. Dieses hohe Amt aber sollte er durch den überraschenden Tod seines Bruders Leopold IV. im Jahre 1141 nicht lange ausüben, da er dann um das Babenbergische Erbe anzutreten zurück nach Österreich ging.[11]

Dass Heinrich zwar sofort auf seinen Bruder als Markgraf folgte, nicht aber als Herzog von Bayern[12] lag daran, dass Konrad III. bestrebt war, eine Lösung im Konflikt mit den Welfen zu finden. Demnach sollte Gertrud, die Witwe des Welfen Heinrich des Stolzen, dem man Bayern aberkannt hatte, Heinrich Jasomirgott heiraten und Heinrichs des Stolzen Sohn mit Gertrud Heinrich der Löwe – zu dem Zeitpunkt noch ein Kind – sollte mit Sachsen, dem zweiten Herzogtum der Welfen belehnt werden. Dieser Plan wurde auch tatsächlich in die Tat umgesetzt, doch eine nachhaltige Aussöhnung der Fürstenhäuser scheiterte am frühen Tod Gertruds. Sie starb 28-jährig bei der Geburt ihres ersten Kindes mit dem Babenberger. Der Streit um Bayern flammte erneut auf.[13] Die zweite Eheschließung sollte für Heinrich allerdings noch bedeutsamer werden. Während des wenig erfolgreichen zweiten Kreuzzuges verbrachte er gemeinsam mit König Konrad den Winter am Hofe des Byzantinischen Kaisers und brachte von dem ansonsten eher dürftigen Abenteuer eine besondere Braut mit nach Österreich – die Nichte des Kaisers Theodora Komnena.[14]

Das Urteil der Nachwelt über Heinrich II. Jasomirgott ist nur zu oft nicht eben freundlich gewesen. Als weniger begabt als sein Bruder wird er beschrieben[15], byzantinische Geschichtsschreiber bezeichnen ihn gar als „Ungeheuer aus dem Westen“[16]. Doch Heinrich hat während seiner über 35-jährigen Regentschaft, etwas zuwege gebracht, das den Verlauf der Österreichischen Geschichte für immer prägen sollte – Österreich wurde aus der Bayrischen Herrschaft herausgelöst und zum selbstständigen Herzogtum.

Doch sogar diesbezüglich wird Heinrich nur zu oft ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, zu starrköpfig sei er gewesen, heißt es etwa – dabei ist es aus heutiger Sicht viel wahrscheinlicher, dass er als überaus kluger Taktiker das faktisch Mögliche ausgelotet und mit zäher Beharrung auch erreicht hat. Denn als Friedrich Barbarossa, Nachfolger von Heinrichs Vertrautem Konrad III. sich für die Wahl rüstete, versprach er Heinrich dem Löwen Bayern zurückzugeben, wenn dieser ihn bei der Wahl unterstützte. Für Heinrich Jasomirgott hätte eine bloße Aberkennung des Herzogtums Bayern aber nicht nur einen realen Verlust, sondern vor allem den Verlust an Rang und Ansehen. Er wäre dort zum Untertanen geworden, wo er eben noch geherrscht hatte und er hätte sich selbst zum Lehensmann seines ehemaligen Stiefsohns machen müssen – Heinrich der Löwe war ja der Sohn von Jasomirgotts erster Frau Gertrud! Das kam für den Babenberger nicht in Frage. Mit Beharrung und Geschick erreichte er eine Lösung, die sowohl für ihn als auch den Kaiser von Vorteil war und die dem Löwen nicht allzu sehr schmerzte. Heinrich der Löwe wurde zwar Herzog von Bayern aber Österreich wurde aus dem Bayrischen Lehen gelöst und ein eigenständiges Herzogtum. Zudem behielt Heinrich Jasomirgott auch die umfangreichen Rechte als Markgraf in Österreich und eine Reihe von Vorrechten, die im Privilegium minus 1156 festgelegt wurden. Kaiser Barbarossa hatte damit den Vorteil, dass der Bayernherzog nicht allzu mächtig wurde, diesem wiederum fiel der Verlust Österreichs nicht allzu schwer, lagen seine Hauptinteressen doch ohnehin in Sachsen. Für Heinrich II. Jasomirgott allerdings war damit der Weg frei seine Herrschaft im nunmehrigen Herzogtum Österreich weiter zu festigen und auszubauen.[17]

Einer der dazu erfolgten Schritte war die Schaffung einer eigenen, glanzvollen Residenz in Wien, das damit zum ersten Mal zum Zentrum des Landes wurde. Als Bayernherzog hatte er in Regensburg residiert, nun zog er westwärts und ließ die bis dahin eher unbedeutende Siedlung Wien großzügig ausbauen.[18] An dieser Entscheidung dürfte auch die Herzogin Theodora nicht unbeteiligt gewesen sein.[19] Die für den Ausbau der Residenz notwendigen Fachleute folgten dem Babenberger wohl aus Bayern hierher. Darunter waren auch jene iroschottischen Mönche, die hier ein Kloster errichten sollten – das Schottenkloster. Heinrich ließ die alten römischen Mauern ausbessern und errichtete am heutigen Platz Am Hof eine herzogliche Pfalz.[20] Hier hielten nun Heinrich und Theodora tatsächlich glanzvoll Hof und Wien entwickelte sich im späten 12. Jahrhundert erstmals zu einem Zentrum von Kunst und Kultur. Die feinsinnige und hochgebildete Theodora hatte feine Sitten und verfeinerte Lebensart an die Donau gebracht.[21] Sie war daher die erste der vielen Bräute Österreichischer Herrscher, die der Haupt- und Residenzstadt in den folgenden 750 Jahren ihren Stempel aufdrücken sollten. Aber das ist eine andere Geschichte….

 

Bildnachweis:

1.     Denkmal für Heinrich II. Jasomirgott an der Fassade der Schottenkirche. © www.vienna-city-guide.at Rita Klement

2.     Denkmal für Heinrich II. Jasomirgott am Rathausplatz. © www.vienna-city-guide.at Rita Klement

 

Quellen und Infos:

 Peter Csendes/Ferdinand Oppl, Wien. Geschichte einer Stadt, Band 1: Von den Anfängen bis zur Ersten Wiener Türkenbelagerung (1529), Wien/Köln/Weimar 2001.

Heide Dienst, Agnes. Herzogin – Markgräfin Ehefrau und Mutter, Wien 1985.

Hans-Werner Goetz, Leben im Mittelalter: vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, München 2002.

Helmut Hanko, Herzog Heinrich II. Jasomirgott. Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Herzog von Österreich, Darmstadt 2012.

Karl Lechner, Die Babenberger. Markgrafen und Herzöge von Österreich 976-1246, Wien/Köln/Weimar 1985.

Isabel Leipold,  „Media vita in morte sumus“. Mittelalterliche Jenseitsvorstellungen unter Berücksichtigung der Totentanzliteratur , Diplomarbeit, Wien 2013.


 

https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_III._(%C3%96sterreich)

https://regiowiki.at/wiki/Leopold_III._

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_II._(%C3%96sterreich)

 



[1] Hanko, S. 22, S. 110 und Lechner, S. 138.

[2] Hanko, S. 107ff.

[3] Hanko, S. 22, S. 110 und Lechner, S. 138.

[4] Goetz, S. 28

[5] Dienst, S. 203.

[6] Hanko, S. 37.

[7] Hanko, S. 10.

[8] Hanko, S. 22.

[9] Hanko, S. 14.

[10] Hanko, S. 38ff.

[11] Hanko, S. 49ff.

[12] Die Babenberger waren mit Bayern nach einem Konflikt Konrads III. mit den Welfen belehnt worden.

[13] Hanko, S. 46ff.

[14] Hanko, S. 63ff.

[15] Hanko, S. 46ff.

[16] Hanko, S. 62.

[17] Hanko, S. 76ff.

[18] Csendes/Oppl, S. 70ff.

[19] Hanko, S. 66.

[20] Csendes/Oppl S. 70ff.

[21] Hanko, S. 99.