Ein Botschafter sorgt für Aufregung

Seit jeher sorgte die Ankunft orientalischer Gesandtschaften in Wien für Aufsehen, denn die Gäste aus dem Morgenland waren prächtig und fremdländisch anzuschauen und befriedigten somit sattsam die Schaulust der Wiener. Schließlich bedeuteten Gesandtschaften nicht bloße Politik, sondern vielmehr die „Inszenierung von Politik“ [1]. Auch der Empfang des sich auf der Durchreise nach London befindlichen persischen Botschafters Mirza Abu’l- Ḥasan Khan Anfang Februar 1819 sorgte dementsprechend für einige Aufregung in der Kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt, zumal der persische Diplomat sich nicht ganz an alle Regeln des starren Hofzeremoniells in Wien hielt.

Denn der Empfang ausländischer Diplomaten war im Hofzeremoniell selbstverständlich ebenso streng geregelt, wie alles andere.  Dieses Hofzeremoniell beschäftigt sich laut einer Definition aus der Mitte des 18. Jahrhunderts mit allem, „was zur Pracht, Ansehen, Glantz und Respect des Hofs und der Herrschafft, deren Vorzügen und Verhältniß vor und gegen Fremden, denen Feyerlichkeiten und Lustbarkeiten des Hofs zu wissen, zu thun und zu lassen vonnöthen ist“.[2] Und dieses Zeremoniell war durchaus auch Anfang des 19. Jahrhunderts am Hof des nunmehr bereits Österreichischen Kaisers gegenüber früheren Jahrhunderten keineswegs gelockert worden. Schließlich galt es nach wie vor, „Heiligkeit und Majestät der fürstlichen Personen“, also des Kaisers und seiner Familie zu wahren. Man sprach nun lediglich nicht mehr vom Zeremoniell sondern von der Etiquette.[3] Flapsig ausgedrückt könnte man sagen, also nichts als ein Etikettenschwindel!

Organisation des Besuchs von Mirza Abu’l- Ḥasan Khan lag in den Händen des Oberhof-Zeremonienmeisters[4] (der trotz des Namenswechsels noch so genannt wurde). Die minutiöse Befolgung des Protokolls sollte einerseits die besondere Stellung des kaiserlichen Hofes herausstreichen, gleichzeitig aber auch der Würde des Gastes – und natürlich des ihn entsendenden Hofes wahren.

Schließlich war Mirza Abu’l- Ḥasan Khan nicht irgendjemand. Der 1776 in Shiraz geborene Diplomat stammte aus einer einflussreichen und wichtigen Familie. Sein Onkel war Premierminister gewesen, musste aber nachdem er in Ungnade gefallen war mit der gesamten Familie fliehen. Mirza Abu’l- Ḥasan Khan gelang es aber, nach Persien zurückzukehren und sich erneut eine einflussreiche Stellung zu verschaffen. 1809 wurde er zum ersten Mal als Botschafter nach London entsandt. Diese Mission brachte ihm den Titel eines Īlčī, eines Gesandten, ein, später sollte er sogar Außenminister werden.[5]

Auf seinen Reisen durch Europa begeisterte er sich für die europäische Kultur, wurde sogar Freimaurer und verliebte sich in eine Engländerin.[6] Er lernte Englisch und wurde in der britischen Gesellschaft weitgehend wohlwollend aufgenommen. Sir Walter Scott attestierte Mirza Abu’l- Ḥasan Khan die Manieren eines Höflings und ortete bei ihm tiefere Reflexionen, als er bei einem „Muselmann“ erwartet hätte[7] – Vorurteile gegenüber fremden Kulturen machten (und machen) eben vor niemandem Halt.

Die Wiener Zeitung berichtete dementsprechend mehrere Tage lang ausführlich auf der Titelseite über den Besuch Mirza Abu’l- Ḥasan Khan. Schon über das Eintreffen des Diplomaten, der mit der Übergabe von Schreiben und Geschenken des Schahs an Kaiser Franz I. beauftragt war, in Schwechat wurde berichtet. Hohe Beamte des Kaiserhofes reisten ihm entgegen um ihn willkommen zu heißen. Er wurde in sein Quartier im „Kaiserhaus“ auf der Wieden begleitet,[8] jenes später sogenannte prachtvolle Palais Rainer in dem sich fünfzig Jahre zuvor Maria Theresia von den Pocken erholt hatte, und das heute leider nicht mehr existiert.[9] Dort wurde dem hohen Gast ein vom „Hof-Controllor-Amt“ hergerichtetes Frühstück serviert, das Blatt lässt uns sogar die Namen aller am Tisch befindlichen Beamten wissen. Danach hatte der Diplomat drei Tage Zeit auszuruhen – wie es üblich sei – berichtet uns die Wiener Zeitung, um hernach beim Fürsten Metternich um Audienz anzusuchen. Diese wurde selbstverständlich gewährt und Mirza Abu’l- Ḥasan Khan wurde mit einer sechsspännigen Staatskarosse abgeholt und in die Staatskanzlei auf dem Ballhausplatz gebracht. Von weiteren Staats-Wägen, prächtigen Reitern, livrierten Dienern und allerlei Würdenträgern begleitet schlängelte sich dieser feierliche Zug aus dem heutigen 4. Bezirk zuerst durch das enge, alte Kärntnertor, dann durch Kärntnerstraße, Graben, Kohlmarkt und Schauflergasse schließlich zum Ballhausplatz.[10] Man kann sich unschwer vorstellen, wie die Menge am Straßenrand begeistert zusieht.

Mit dem Besuch bei Metternich waren die Feierlichkeiten aber freilich noch längst nicht vorbei. Denn wenige Tage später folgt der eigentliche Höhepunkt des Besuches in Wien – die Audienz bei Kaiser Franz I. Auch hier sind wir durch den Bericht der Wiener Zeitung wieder minutiösest über jeden Schritt informiert. Schon der Weg des Hofrats und Hofdolmetschs Joseph von Hammer-Purgstall, um den Gast abzuholen war quasi ein Staatsakt. Denn Hammer-Purgstall musste den Befehl des Obristkämmerers Graf Wrbna abwarten, um dann offiziell im feierlichen Zug mit türkisch geschmückten Pferden, den hohen Diplomaten auf der Wieden abzuholen. Vor dem Quartier des Botschafters warteten indessen schon Sänften, die man auf Maultiere montiert hatte, um die Geschenke des Schahs an den Kaiser zu transportieren. Der Zug auf dem Weg zurück in die Stadt muss eindrucksvoll gewesen sein. Vorneweg ritten ein Corporal mit sechs Mann Kavallerie um Platz in der Menge zu machen. Dann folgten ein Hauptmann mit 40 Grenadieren und mehrere schön geschmückte Pferde sowie ein Bereiter, der den Zug der Sänften führte. Die Sänften selbst wurden wiederum links und rechts von livrierten Lakaien begleitet. Nun folgte ein sechsspänniger Wagen mit den persischen Botschaftssekretären, die das Schreiben des Schahs mitführten. Ihnen wiederum folgte der Gala-Hofwagen mit Mirza Abu’l- Ḥasan Khan. Er war selbstverständlich prächtig in rosa Gewänder, die mit Silberfäden durchwirkt waren, gekleidet. Auf dem Kopf trug er wertvolle Juwelen, auf den Gewändern verschiedene reich verzierte Orden. Dem so eindrucksvoll ausstaffierten Diplomaten folgten vier seiner Offiziere zu Pferde, ein weiterer Wagen und den Schluss bildeten nochmals 20 Grenadiere und sechs Mann Kavallerie. In der Folge lässt uns die Wiener Zeitung ausführlich am Ablauf der Audienz selbst teilhaben.[11] Doch hier hat das – in den zensurfreudigen Zeiten des Vormärz - selbstverständlich kaisertreue Blatt nicht alle Details wiedergegeben. Denn man verschweigt höflich, dass Mirza Abu’l- Ḥasan Khan trotz seiner Sympathie für Europa nicht alle Vorgaben der „Etiquette“ zu erfüllen gedachte. Bei der Ankunft war die persische Delegation nur mit Mühe davon abzuhalten gewesen, die vorgegebene Raumfolge zu beachten und nicht in die Privatgemächer des Kaisers einzudringen und zur zweiten Reverenz – also Verbeugung – vor Franz I. musste der Botschafter genötigt werden. Als der Kaiser dann seine Dankansprache hielt, plauderte Mirza Abu’l- Ḥasan Khan wenig aufmerksam und zog sich sogar bequem die Pantoffel aus. Beim Verlassen der Audienz kehrte er dem Kaiser dann auch noch den Rücken.[12]

Das Temperament des Persischen Gesandten, scheint die Menschen in Wien aber durchaus in ihren Bann gezogen zu haben. Der eine oder andere mag den frischen Wind im erstarrten Hofleben durchaus begrüßt haben. Friedrich Wilhelm Ziegler, Schauspieler und Theaterdichter und eines der Mitglieder der Ludlamshöhle – jenes 1817 gegründeten, und nach einer Figur aus dem Nebelmärchenstück „Alladin“ benannten, Künstlertreffs im biedermeierlichen Wien[13] – nannte sich in diesem illustren Kreise jedenfalls „Mirsa Abddul Hassan Temperament Chan“ .[14]

Sich absonderliche Namen zu geben, war allerdings in dieser Runde von Künstlern und Intellektuellen nichts Außergewöhnliches. Maler Moritz Daffinger nannte sich „Rauhbein, der Miniaturige“ und Komponist Carl Maria von Weber firmierte, wenn er in Wien weilte, unter dem Namen „Agathus, der Zieltreffer“[15] – doch das ist bereits wieder eine andere Geschichte.

 

Bildnachweis:

Johann Schönberg (copper engraver), Einzug des Persischen Botschafters Mirsa Abdul Chan in Wien am 8. Februar 1819, 1819, Wien Museum Inv.-Nr. 19983, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/en/object/149908/)

 

Quellen und weitere Infos:

 Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien, Band 4 / Le-Ro. Wien 1995.

Edgar Haider, Verlorenes Wien. Adelspaläste vergangener Tage, Wien 1984.

Hasan Javadi, “Abu’l- Ḥasan Khan Īlčī,” Encyclopædia Iranica, I/3, pp. 308-310; an updated version is available online at http://www.iranicaonline.org/articles/abul-hasan-khan-ilci-mirza-persian-diplomat-b (accessed on 31 January 2014).

Marlene Kurz/Martin Scheutz/Karl Vocelka/Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. Akten des internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Wien, 22.-25. September 2004,

Keramatollah Rasekh, Das politische Denken der Reformisten im Iran 1811-1906. Berlin, 1999.

Harriet Rudolph, Türkische Gesandtschaften ins Reich am Beginn der Neuzeit - Herrschaftsinszenierung, Fremdheitserfahrung und Erinnerungskultur. Die Gesandtschaft des Ibrahim Bey von 1562 . In: Marlene Kurz/Martin Scheutz/Karl Vocelka/Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. Akten des internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Wien, 22.-25. September 2004, S. 295-314.

Moser Friedrich Carl von, Teutsches Hofrecht, Bd. 1 (Frankfurt – Leipzig 1754).

Karin Schneider, Norm und Zeremoniell. Das Etiquette-Normale für den Wiener Hof von circa 1812. Edition und Kommentar, Wien/Köln/Weimar 2019.

Hannes Stekl, Der Wiener Hof in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Karl Möckl (Hrsg.), Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Berlin/Boston 2016.

Wiener Zeitung, Nr. 30, 8. Februar 1819.

Wiener Zeitung, Nr. 32, 10. Februar 1819.

Constantin von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Neunundfünfzigster Theil Wurmser – Zhuber, Wien 1980.



[1] Rudolph, S. 295.

[2] Moser, zitiert nach Schneider, S. 8.

[3] Schneider, S. 7ff.

[4] Schneider, S. 100.

[5] Javadi.

[6] Rasekh, S. 72.

[7] Javadi.

[8] Wiener Zeitung, Nr. 30, 8. Februar 1819.

[9] Haider, S. 136f.

[10] Wiener Zeitung, Nr. 30, 8. Februar 1819.

[11] Wiener Zeitung, Nr. 32, 10. Februar, 1819.

[12] Stekl, S. 47.

[13] Czeike, S. 108.

[14] Wurzbach, S. 48.

[15] Czeike, S. 108.