Tod am Würgegalgen – die letzte öffentliche Hinrichtung Wiens

Heute vor 153 Jahren wurde Georg Ratkay bei der „Spinnerin am Kreuz“ gehenkt. Es war die letzte öffentliche Hinrichtung in Wien  – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich bei der Vollstreckung des Todesurteils tumultöse Szenen abspielten. Die Todesstrafe war zwar eigentlich bereits 1787 von Joseph II im „Allgemeinen Gesetzbuch über Verbrechen und derselben Bestrafung“ mit Ausnahme standrechtlicher Verfahren abgeschafft worden, wurde aber 1803 unter der Regierung Franz II/I mit dem „Gesetz über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen“ wieder eingeführt. (Hoke, S. 432) Der aus Törökbálint stammende Georg Ratkay sollte schließlich der letzte sein, an dem dieses grausame Urteil öffentlich vollstreckt wurde.

Ratkay hatte sich unter falschem Namen als Bettgeher bei der Tischlerfamilie Henke in der Adamsgasse Nummer 9 im 3. Wiener Gemeindebezirk eingemietet. Am 11. Jänner erschlug er dort die 38-jährige Tischlersgattin Marie Henke mit einem Hobel.  (Sicherheit 3-4 2018, S. 48 und Presse 1868, Nr. 1266) Der Mörder hatte sich nur drei Tage zuvor bei der Familie als neuer Mieter gemeldet. Am frühen Morgen des 11. Jänner 1868 ging der Gatte der Marie Henke aus dem Haus zur Arbeit, sie aber legte sich mit Kopfschmerzen nochmals zu Bett. Wenige Stunden später wurde sie von einer weiteren Untermieterin der Henkeschen Wohnung im Bett mit einer blutenden Kopfwunde gefunden, neben ihr lag ein blutverschmierter Hobel. Der Kasten der Eheleute Henke war geöffnet worden. Zum Diebesgut, mit dem sich der Täter aus dem Staub gemacht hatte, gehörten unter anderem Geld und eine Uhr. Aus den in der Presse veröffentlichten Gerichtsprotokollen erfahren wir die grausigen Details der Tat. Als er festgestellt hatte, dass die Hausfrau sich nochmals zu Bett gelegt hatte und wieder eingeschlafen war, sah er die Gelegenheit zu dem Raubmord, nachdem er schon am Tag davor den Beschluss gefasst hatte, sich in den Besitz des Geldes der Tischlerfamilie zu bringen. Er nahm also den Hobel, von dem er wusste, dass er sich unter dem Bett befand und schlug mehrmals auf die schlafende Frau ein. Dann nahm er die Schlüssel zu dem versperrten Kasten und durchsuchte diesen nach Wertsachen. Danach verließ er die Wohnung, suchte sich ein Quartier in der Landstraßer Hauptstraße und spielte in aller Seelenruhe mit einem Bekannten Tarock. Als er am Montag aus der Zeitung erfuhr, dass nach dem Bettgeher gefahndet wurde, verließ er Wien. (Presse 1868, Nr. 1211)

Bei der Fahndung bediente sich die Polizei moderner Methoden, so wurde etwa durch eine Beschreibung des Täters und des Diebesguts in den Medien durch öffentlichen Aufruf nach dem Raubmörder gesucht. (Sicherheit 3-4/2018, S.48) Allerdings waren diese Methoden wohl noch nicht ganz ausgereift – denn nicht alle Zeitungen wurden mit den Informationen versorgt. Die „Neue Freie Presse“ etwa monierte in ihrer Ausgabe vom 14. Jänner 1868, dass die Kundmachung zwar den Abendblättern zugestellt worden sei (aus denen auch die Presse ihre Informationen hätte), nicht aber der Presse.

Trotzdem war die Suche nach dem flüchtigen Täter letztlich von Erfolg gekrönt. Der Raubmörder wurde in der Wohnung des Vaters seiner jungen Geliebten Karoline Geserich in Klein-Neusiedl aufgegriffen und festgenommen (Sicherheit 3-4/2018, S. 48 und Presse 1868, Nr. 1211)

Ratkay war bei der Ermordung von Marie Henke kein unbeschriebenes Blatt mehr. Er war in den vier Jahren davor gleich mehrmals wegen Diebstahls, Veruntreuung und Falschmeldung zu Kerker und Stockschlägen verurteilt worden. Auch in dem Prozess um den Raubmord an Marie Henke ging es zusätzlich noch um einige in den Wochen und Monaten davor begangene Diebstähle. (Presse 1868, Nr. 1211) Glaubt man dem überaus ausführlichen Bericht der „Neuen Freien Presse“, war Ratkay daher bei seinem neuerlichen Prozess ungerührt und „verräth nicht die geringste Gewissensregung“.  (Presse 1868, Nr. 1266) In den Stunden vor der Vollstreckung allerdings, soll Ratkay sich „bußfertig und zerknirscht“ gezeigt haben. Es wurde ihm erlaubt, einige Gäste – darunter zwei ehemalige Zellengenossen und seine junge Geliebte – zu empfangen. (Presse 1868, Nr. 1347)

Trotz der nicht ohne Lust an der Sensation erfolgten Berichte über den grausamen Raubmord an der Tischlersgattin war auch im 19. Jahrhundert die Todesstrafe durchaus nicht mehr unumstritten und wurde auch in den Berichten der Presse höchst kritisch beleuchtet. Es gab für Ratkay auch einige Interventionsversuche, um den Verurteilten doch noch vor dem Galgen zu retten. (Presse 1868 Nr. 1348) Doch das breite Publikum war wohl weniger an humanistischen Debatten interessiert als an einem saftigen Spektakel.

Am Morgen des Hinrichtungstages sollte der Verurteilte zur Richtstätte gebracht werden, doch das gestaltete sich schwieriger, als man gedacht hatte, denn schon vor dem Gefängnis hatte sich eine riesige Menschenmenge gebildet. Polizei und sogar Husaren waren aufgeboten, die sensationsgierige Menge im Zaum zu halten. Auch der Weg vom Landesgericht zur Richtstätte nach der Spinnerin am Kreuz war von Menschenmassen gesäumt, die so dicht waren, dass der Wagen teilweise minutenlang nicht vorwärts kam. Als der Wagen mit Georg Ratkay an der Richtstätte ankam, wurde er ebenfalls schon von einer riesigen Menschenmenge erwartet. Vor allem die Plätze auf der eigens errichteten Tribüne, aber auch jene auf den Dächern der nahe gelegenen Leimsiederei waren heiß begehrt. Dafür wurden sogar Eintrittsgelder bis zum einem Gulden bezahlt! Aber auch Wägen und Kutschböcke wurden als Aussichtsplätze vermietet. Als das Militär die Schaulustigen zurückdrängen wollte, wurde sogar den Soldaten mit Stöcken gedroht. Die Ankunft Ratkays sowie die Hinrichtung selbst wurden dann mit lautem Gejohle des Publikums „gefeiert“. (Presse 1868 Nr. 1347) Es kam während der Hinrichtung auch zur Raufereien zwischen den teilweise stark betrunkenen Zaungästen (Sicherheit 3-4/2018, S. 48) und danach hätte der Pöbel beinahe die Richtstätte gestürmt um „Erinnerungsstücke“ zu erhaschen. (Seyrl, S. 74)

Nach den katastrophalen und teilweise tatsächlich tumultösen Szenen bei der Hinrichtung Ratkays griff Kaiser Franz Joseph ein. Der Kaiser verfügte, Hinrichtungen hinkünftig nicht mehr öffentlich abzuhalten. (Sicherheit 3-4/2018, S. 48) Außerhalb der Reichshaupt- und Residenzstadt wurden aber auch zwischen 1868 und 1873 noch Todesstrafen öffentlich vollstreckt. Erst mit der Einführung der neuen Strafprozessordnung 1873 (RGBl. 1873/119) wurden öffentliche Hinrichtungen endgültig untersagt, eine Todesstrafe durfte laut § 404 nur noch „innerhalb der Mauern des Gefangenhauses oder in einem anderen umschlossenen Raume in Gegenwart einer Gerichtscommission […] dann des Staatsanwaltes, eines Gerichtsarztes und des den Verurtheilten begleitenden Seelsorger“ durchgeführt werden. (www.oesta.gv.at)

Franz Joseph war allerdings überhaupt kein Freund der Todesstrafe. Zwischen 1874 und 1914 wurden zwar 2.700 Todesurteile verhängt, aber „nur“ 85 Personen wurden tatsächlich hingerichtet, die anderen wurden vom Kaiser begnadigt. (Sicherheit 5-6 2010, S. 30)

Die letzte Hinrichtung in Österreich fand übrigens noch mehr als 80 Jahre nach der Vollstreckung des Todesurteils an Ratkay -  im März 1950 statt! Es war ebenfalls ein Raubmörder – Johann Trnka mit Namen, der im „Grauen Haus“ gehängt wurde. Am 1. Juli 1950 wurde die Todesstrafe in Österreich endlich abgeschafft. (Sicherheit 5-6 2010, S. 30f.)

 

Bildnachweis

Joseph Fischer (Aquarellist), Wien, Panorama (von der Spinnerin am Kreuz aus), 1818, Wien Museum Inv.-Nr. 8745, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/95289/)

 

Quellen und Infos

 

Rudolf Hoke, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte, Wien/Köln/Weimar 1992.

Harald Seyrl, Todesstrafe in Österreich 1876-1950. In: 200 Jahre Rechtsleben in Wien, Wien 1986.

Öffentliche Sicherheit. Das Magazin des Innenministeriums, 5-6 2010.

Öffentliche Sicherheit. Das Magazin des Innenministeriums, 3-4 2018.

Öffentliche Sicherheit. Das Magazin des Innenministeriums, 5-6 2021.

Neue Freie Presse Nr. 1211, 14. Jänner 1868.

Neue Freie Presse Nr. 1266, 9. März 1868.

Neue Freie Presse Nr. 1347, 30. Mai 1868/ Abendblatt

Neue freie Presse Nr. 1348, 31. Mai 1868.

https://www.diepresse.com/5435545/i-geh-den-ratkay-anschaun-die-letzte-offentliche-hinrichtung-in-osterreich

https://www.oesta.gv.at/veroeffentlichungen/archivale-des-monats/die-letzte-offentliche-hinrichtung-in-wien-am-30-mai-1868.html