Auch Nestroy scheiterte ab und an

Johann Nepomuk Nestroy gehört zweifellos auch heute – fast 160 Jahre nach seinem Tod – noch immer zu den bekanntesten Theaterautoren Österreichs. Stücke wie „Der Talisman“, „Der böse Geist Lumpazivagabundus“, „Einen Jux will er sich machen“ oder „Der Zerrissene“ sind nach wie vor fester Bestandteil der heimischen Spielpläne.

Doch auch der berühmte und beliebte Nestroy traf nicht immer den Geschmack des Publikums. Denn von seinen insgesamt 83 Stücken werden in unseren Tagen nur einige wenige wirklich oft gespielt – die große Mehrzahl ist einem breiten Publikum heute fast unbekannt.[1] Und auch seine Zeitgenossen waren bei weitem nicht immer mit allem einverstanden, was Nestroy ihnen vorsetzte. Vor allem wenn sein beißender Spott den Menschen einen allzu unbequemen Spiegel vorhielt, wandte sich das Publikum auch gegen ihn.

Ein solcher Misserfolg war unter anderem das Stück „Nur Ruhe“, das am 17. November 1843 im Leopoldstädter Theater seine Premiere feierte.

Über die Entstehungsgeschichte dieses Werks ist wenig bekannt. Es war nach „Liebegeschichten und Heiratssachen“ und „Das Quodlibet verschiedener Jahrhunderte“ mit dem Vorspiel „Die dramatischen Zimmerherren“ schon das dritte Stück, das er im Jahr 1843 auf die Bühne brachte.[2] Anders als bei zahlreichen anderen Stücken des Meisters ist bei „Nur Ruhe“ keine Vorlage auszumachen, was die Möglichkeit eröffnet, dass es sich um ein „Original“ Nestroys handeln könnte.[3]

Die Posse in drei Akten handelt vom Lederermeister Schafgeist, der sich anlässlich seines 55. Geburtstages zurückziehen und sein Leben in Ruhe genießen will. Er will sein Geschäft seinem Neffen Splittinger übergeben. Doch Schafgeist soll nicht zur Ruhe kommen. Neffe Splittinger kümmert sich nicht um das Geschäft und Rochus Dickfell, sein ehemaliger Geselle der wegen Unfriedens entlassen worden war, setzt alles daran wieder eingestellt zu werden. In die ohnehin schon komplizierte Situation, die auch noch von den geschäftigen Vorbereitungen der Geburtstagsfeier geprägt ist, platzt nun auch noch der Spekulant Herr von Hornissl mit seinem ganzen Anhang. Die Sippe Hornissl hatte einen Unfall erlitten und muss nun vom so sehr Ruhe suchenden Schafgeist aufgenommen werden, was das Hauswesen noch mehr in Unordnung bringt. Zu allem Überfluss verliebt sich nun auch noch Schafgeists Geschäftsführer Franz in Hornissls Tochter Pepi, die er schon von früher kennt.

Nun ist die Bühne für ein verwirrendes Spiel aus Intrigen und Irrungen bereitet. Der intrigante Rochus Dickfell bietet Hornissl nun seine Dienste an. Schafgeists Neffe Splittinger und Hornissls Neffe Laffenberger konkurrieren wiederum um Rochus` Ziehtochter Leocadia und die Verlobte von Schaftgeistes Neffen Splittinger ist gleichzeitig Hornissls Cousine und macht ihrem Bräutigam Splittinger Vorhaltungen. Zu allem Überfluss beraumt auch noch der Amtsschreiber Klecks eine übereilte Verhandlung an, bei der Schafgeist des Kindesraubs und des Ehebruchs beschuldigt. Nach einigem hin und her stellt sich aber durch das Eingreifen des gerade noch rechtzeitig hinzugekommen Syndikus Werthner heraus, dass Peppi in Wahrheit nicht das Kind Hornissls sondern Schafgeists tot geglaubte Tochter ist, die von Hornissl wiederum seiner Frau für ein totgeborenes Kind untergeschoben wurde, da im Falle seiner Kinderlosigkeit die  Cousine Madame Groning erben würde. Am Ende geht aber doch alles gut aus. Schafgeist - nunmehr glücklicher Vater - gibt Peppi seinem tüchtigen Geschäftsführer Franz zur Frau, da der sich während der ganzen Zeit als einziger um das Geschäft gekümmert hat. Der Intrigante Rochus Dickfell dagegen geht zum Ende leer aus.[4]

Bei der Premiere kam es zu Tumulten im Publikum und auch die Presse ließ kein gutes Haar an dem Stück. [5] Hintergrund der ungnädigen Aufnahme beim Publikum war nicht nur die gnadenlose Kritik, die Nestroy darin einmal mehr vor allem an den Spießbürgern übt, sondern vor allem auch ein Streit zwischen den Anhängern zweier widerstreitender Theatergattungen. Während ein Teil des Wiener Theaterpublikums dem Wiener Volksstück und den Possen anhing, redeten andere der Gattung des Vaudeville[6] das Wort. Es soll sogar eine regelrechte „Schlacht“ zwischen den Anhängern der beiden Richtungen gegeben haben. Der Kritik jedenfalls war das Stück auch zu wenig „wienerisch“, es hätte nichts zur Rettung des Volksstücks beigetragen.[7]

In den „Sonntagsblättern“ war zwei Tage nach der Premiere zu lesen: „Mit einer Art schmerzlicher Resignation zweigen wir die gänzliche Werthlosigkeit, das totale Fiasko dieses neuesten Produktes aus Nestroy’s Feder an, da er doch der einzige kräftiggrüne Zweig auf dem welk und gelb gewordenen Baume unserer Volksmuse ist. (…) Nicht die abgedroschene und zerfaserte Handlung dieser Posse – eine läppische Erbschaftsgeschichte – nicht die Hinfälligkeit und Gezwungenheit der Karaktere, nicht die Mattigkeit und Gesuchtheit des Witzes ist es, welche unsere Erwartung und Hoffnung so herabstimmt, da doch der Begabteste einen Mißgriff machen und von dem Gott der Laune einmal weniger begünstigt sein kann; aber die Art und Weise des Spasses ist es, welche uns die traurige Bemerkung aufdringt, Nestroy habe sich erschöpft (…) Die Novität wurde unter Zischen und Pochen kaum zu Ende gespielt, und wird hoffentlich keine zweite Vorstellung erleben.“[8]

Der „Adler“, der es mit Nestroy etwas besser meinte schreibt: „Die Leitung dieser Blätter, niemals geneigt sich an fremden Mißgeschick zu erfreuen, kann über diese Novität nur ein schonendes Stillschweigen beobachten. Sie suspendirt ihr Urtheil über den Mißgriff des Dichteres, indem sie hofft, daß derselbe sein vielfach erprobtes Talent durch eine gelungene Bearbeitung eines guten fremden Sujets neuerdings glänzend herausstellen werde.“[9]

Diesen Misserfolg jedenfalls nahm Nestroy sich zu Herzen. Als nächste Stücke bot er eher betont spielerische Unterhaltung. Seine Satire wurde weniger aggressiv und eher hintergründig.[10]

 

Quellen und weitere Infos:

 Klaus Zeyringer/Helmut Gollner, Eine Literaturgeschichte: Österreich seit 1650. Innsbruck/Wien/Bozen 2012.

Jürgen Hein (Hrsg.), Johann Nestroy. Sämtliche Werke. Historisch Kritische Ausgabe, Bd. 20, Wien/München 1986.

Jürgen Hein, Johann Nestroy, Stuttgart 1990.

Jürgen Hein/Claudia Meyer, Theaterg’schichten. Ein Führer durch Nestroys Stücke, Wien 2001.

Der Adler, 20. November 1843.

Sonntagsblätter, 19. November 1843.

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Nestroy

https://www.nestroy.at/

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Johann_Nestroy

 

Bildnachweis:

Hermann Klee (Fotograf), Johann Nestroy (1801-1862), Dramatiker, Schauspieler, Opernsänger, vor 1862, Wien Museum Inv.-Nr. 90603/80, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/41091/)

 



[1] Zeylinger/Gollner S. 205

[2] Hein, S. 165.

[3] Hein 1986, S. 165f.

[4] Hein/Meyer, S. 189f.

[5] Hein 1896, S. 1.

[6] Aus den ursprünglichen scherzhaften Liedern, die als Vaudeville bezeichnet wurden, hatten sich – von den Singspielen und Possen mit Gesang schwer abzugrenzende – leichte Gesangsstücke entwickelt.  Oeconomische Encyclopädie, Bd. 203, 1850, S. 351ff.

[7] Hein 1986, S. 166ff.

[8] Sonntagsblätter, 19. November 1843.

[9] Der Adler, 20. November 1843.

[10] Hein 1990, S. 78.