Dem Irrenhaus nur knapp entronnen

Alexander Girardi wurde 1850 als Sohn eines Schlosserns in Graz geboren. Sein Vater verstarb früh und die Mutter heiratete den ersten Gesellen, der den Betrieb weiterführte und auch den jungen Alexander als Schlosser ausbildete. Doch Girardi interessierte sich schon als Jugendlicher nicht für das ehrwürdige Handwerk, sondern wollte mit aller Macht zum Theater. Zuerst trat er heimlich auf, dann nach dem Tod des Stiefvaters widmete er sich ganz der Schauspielerei. Sein Weg führte ihn von Graz ans Strampfer-Theater in Wien, dann ans Theater an der Wien, ans Carltheater und ans Volkstheater – und in all diesen Häusern lag sein Publikum dem begnadeten Schauspieler zu Füßen. Doch im Privatleben war Alexander Girardi weit weniger erfolgreich als auf der Bühne.

Girardi heiratete mit 43 Jahren die um 13 Jahre jüngere, berühmte Schauspielerin Helene Odilon. Helene war zwar schön und berühmt und Girardi scheint ausgesprochen verliebt gewesen zu sein, doch die Gattin war nicht treu und Girardi tobte vor Eifersucht. Um den ungeliebten Gemahl los zu werden, dachte die Odilon eine besondere Perfidie aus. Schon knapp ein halbes Jahr nach der Heirat zog sie, die auch als „Wiens gefährlichste Frau“ und ob zahlreicher Affären als „Raubtier“ bekannt war, ins Hotel Sacher. Um Alexander nun für immer aus dem Weg zu räumen ohne die Schmach einer Scheidung auf sich zu nehmen, wollte sie ihn für irrsinnig erklären lassen. Damit beauftragte sie niemand geringeren als den späteren Nobelpreisträger, den schon damals berühmte Psychiater Julius Wagner-Jauregg. Dieser ließ nun tatsächlich, in Absprache mit Girardis Hausarzt den „Patienten“ für „vom Cocainwahn befallen, irrsinnig und gemeingefährlich“ erklären – und das ohne ihn auch nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Denn bei einem versuchten „Hausbesuch“ war Girardi nicht anwesend!

Damit war aus einer anfangs geglaubten Ehekrise in Künstlerkreisen ein handfester Skandal geworden, der die Gesellschaft des Fin de Siècle in Atem hielt. Denn da der so beliebte Schauspieler ja für gemeingefährlich erklärt worden war, ließ der Polizeipräsident Franz Ritter von Stejskal jetzt nach ihm fahnden. Girardi wurde aber gewarnt und konnte flüchten. So gelang es ihm auch, sich Hilfe zu organisieren und die kam von niemand geringerem als dem Kaiser Franz Joseph persönlich – wenn auch über Vermittlung von dessen „Herzensfreundin“, der Schauspielerin Katharina Schratt.

Der Kaiser konnte und wollte zwar Alexander Girardi nicht so ohne weiteres „freisprechen“ doch er sorgte für ein Ärztekonsilium, das den Gesundheitszustand Girardis überprüfte und ihn in der Folge tatsächlich für vollkommen gesund erklärte.

Die Ehe von Alexander Girardi und Helene Odilon wurde kurz darauf geschieden und die Angelegenheit bekam der intriganten Gattin schlecht. Sie wurde vom Wiener Publikum gemieden, ihre Beziehung zu Baron Rotschild, die der Grund für Girardis Eifersucht gewesen war, zerbrach. 1903 erlitt sie – nur 40 Jahre alt - während eines Auftritts in Innsbruck einen Schlaganfall. Da sie in der Folge an Bewegungsstörungen und schweren Depressionen litt wurde sie – welche Ironie der Geschichte - wohl auch wegen ihres beträchtlichen Vermögens, von ihrer Verwandtschaft unter Kuratel gestellt. Jahre später erblindete sie und war sogar zum Betteln gezwungen.

Alexander Girardi feierte noch einige Jahre großartige Erfolge, sogar in frühen Filmen trat er auf. 1918 ging endlich auch sein Traum in Erfüllung, er spielte nun am Burgtheater. Zwei Monate später allerdings erlag der schwer zuckerkranke Schauspieler einem Schlaganfall und verstarb.

Alexander Girardi hat uns den Nachruhm seiner Schauspielkunst, den berühmten Girardi-Hut und angeblich auch den Girardi-Rostbraten hinterlassen – und der Kriminalfall Girardi führte zu einer Reform der Entmündigungsverfahren. Denn natürlich fragte sich nach der ärztlichen Rehabilitation des Schauspielers halb Wien, wie es denn hatte sein können, dass jemand für irrsinnig und sogar gefährlich erklärt worden war, ohne dass der Psychiater ihn auch nur in Augenschein genommen hatte. Der Kaiser, der Girardi ja gerettet hatte, stimmte dieser Frage offenbar zu und erließ eine Verordnung, nach der – und so ist es zum Glück noch heute – jemand nur durch einen Gerichtsbeschluss tatsächlich zwangsweise eingeliefert werden könnte. Ein neuerlicher „Fall Girardi“ wurde also verhindert!

 

 

Infos und Quellen

 Georg Markus, Das gibt’s nur bei uns. Erstaunliche Geschichten aus Österreich. Wien 2018.

 https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Alexander_Girardi

https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Girardi

https://kurier.at/kultur/geschichten-mit-geschichte/der-kriminalfall-girardi/400017871

https://de.wikipedia.org/wiki/Helene_Odilon