Der Geburtstag der Wiener Kaffeehauskultur

Kaum ein Gast besucht je Wien, ohne in einem der bekannten, traditionellen Wiener Kaffeehäuser einzukehren. Seit 2011 ist die Wiener Kaffeehauskultur sogar Teil des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO.[1]  An der untrennbaren Verbindung Wiens mit seinen Kaffeehäusern besteht also keinerlei Zweifel – umso legendenumrankter ist aber der Beginn dieser Tradition!

Lange Zeit hielt sich beharrlich die Geschichte, ein gewisser Franz Kolschitzky – es gibt verschiedene Schreibweisen seines Namens und auch seine Herkunft ist nicht ganz gesichert – hätte als Dank für einen gefährlichen Spionageauftrag, den er während der Türkenbelagerung 1683 erfolgreich ausgeführt hätte, die Freiheit erhalten, ein beliebiges Gewerbe in Wien auszuüben. Zudem hätte er im verlassenen Lager der Türken Kaffeesäcke gefunden und mit diesen und der Gewerbefreiheit das erste Wiener Kaffeehaus eröffnet (im Bild).[2] Kolschitzky hatte aber, so viel ist sicher, mit der Einführung des Kaffees in Wien rein gar nichts zu tun. Zwar war er wirklich einer der Kundschafter und Botengänger und hatte auch ansonsten ein recht abenteuerliches Leben geführt, die Sache mit dem Kaffeehaus allerdings konnte er sich nicht auf die Fahnen schreiben. Tatsächlich ist diese Zuschreibung auch erst später entstanden. Erst 1783 anlässlich der 100-Jahrfeier der überstandenen Belagerung wird erstmals in einem Geschichtswerk der Zusammenhang von Kolschitzky und Kaffee hergestellt. Wie weit der Autor dabei einer eventuell bereits existierenden mündlichen Volksüberlieferung folgte, lässt sich freilich heute nicht mehr feststellen.[3]

Der Ruhm, den Kaffee nach Wien gebracht zu haben, muss jedenfalls einem anderen zufallen – obwohl das Getränk als solches schon längst bekannt war!

Denn im Jahre 1665, also fast zwanzig Jahre vor der Belagerung, hatte es anlässlich des Friedensvertrages von Vasvár eine osmanische Großbotschaft in Wien gegeben. Kara Mehmed Pascha kam im Juni nach Wien und bezog in der Leopoldstadt glanzvoll Quartier. Damen und Herren des Adels waren häufig im Audienzsaal seines Quartieres zu Gast und bekamen dort unter anderem Kaffee und Scherbet serviert. Die als „Kahveci“ bezeichneten Kaffeeköche des Botschafters hießen Mehmed und Ibrahim – streng genommen waren sie die ersten Kaffeeköche in Wien.[4]

Doch bis zum Kaffeehaus war es noch ein langer Weg. Denn die Kaffehaustradition in der Kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt hat weniger mit der türkischen Belagerung als mit der großen armenischen Community in Wien zu tun!

Johannes Diodato – auch für seinen Namen gibt es verschiedene Schreibweisen - stammt aus einer armenischen, in Istanbul ansässigen Familie. Sein Vater war ein Kaufmann und Juwelier. Schon früh nimmt er den Sohn Johannes mit auf seine ausgedehnten Geschäftsreisen und Johannes war wohl ein Teenager, als sein Vater ihn zum ersten Mal nach Wien mitnahm. Aus dem Jahr 1666 haben wir Kunde, dass Vater und Onkel Johannes Diodato in Wien wegen des Schmuggelns von Dukaten in Schwierigkeiten geraten waren, die Affäre wurde aber gütlich beigelegt.[5] Johannes selbst tritt uns einige Jahre später zum ersten Mal als trickreicher und energischer Kaufmann entgegen. Die Gelegenheit dazu bot ihm die antisemitische Politik zur Zeit Kaiser Leopolds I. Denn man hatte den jüdischen Kaufleuten erst verboten, mit dem osmanischen Reich Handel zu treiben und dann 1670 die Juden aus Wien vertrieben. Damit entstand aber eine Lücke im Handel mit Silber, das die Münze in Wien aber dringend brauchte, weil sie über keine eigenen Bergwerke verfügte. Der junge Diodato bot an, unter Nutzung des Netzwerks armenischer Kaufleute im Osmanischen Reich Silbergeld aufzukaufen und dieses nach Wien zu bringen. Die Hofkammer ging auf seine Vorschläge ein, allerdings hatte Diodato mit Neidern und Konkurrenten schwer zu kämpfen. Durch den Schutz des Hofes allerdings gelang es ihm, sich durchzusetzen.[6]

Johannes Diodato trachtete nun auch danach, sich in Wien ansässig zu machen. Die Hoffreiheit, mit türkischen Waren zu handeln – die eigentlich nur als Tarnung für den Silberhandel gedacht gewesen war – nutzte er weidlich aus und führte ein Warengewölbe in der „Goldenen Gans“ nahe dem Maut und Waaghaus (heute Rotenturmstraße). Er importierte vor allem orientalische Stoffe, Leder oder Südfrüchte – und möglicherweise auch schon kleine Mengen an Kaffee. Denn es gab auch in Wien durchaus bereits Kunden, die im Kontakt mit dem Osmanischen Reich ihre Vorliebe für das bittere Gebräu entdeckt hatten. Aufgrund seiner guten finanziellen Situation betätigte sich Diodato auch bald im Wechsel- und Darlehensgeschäft wo Hofbeamte ebenso wie Händler und Adelige zu seinen Kunden zählten. Diodato schreckte aber auch vor zweifelhaften Geschäften keineswegs zurück, so beteiligte er sich nach der Belagerung Wiens auf seine Weise an den Türkenkriegen – er kaufte wertvolle türkische Kriegsgefangene, die er teils in materiellen Gewinn zu verwandeln wusste, teils zur Mehrung seines guten Rufs in der Kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt nutze, indem er mehrere Türken zur Taufe brachte. Insgesamt fünf Türkentaufen Diodatos sind in den Matriken von St. Stephan verzeichnet! Beim Kauf von 50 kriegsgefangenen Hofjuden aus Budapest unterlag Diodato allerdings dem mächtigen jüdischen Hoffaktor Samuel Oppenheimer, dem es gelang, seine Glaubensbrüder zu befreien.[7] Neben seiner kaufmännischen Tätigkeit nutzte Diodato seine Verbindungen und Kenntnisse aber auch, um als Kundschafter wichtige Informationen für den Hof zu erlangen.

In der Zwischenzeit wurde Johannes Diodato mehr und mehr in Wien heimisch. Er heiratete – wahrscheinlich um das Jahr 1677 eine junge Dame namens Maria Anna, über die wir aber leider nicht mehr wissen. Wahrscheinlich war sie aber eine Wienerin, die auch eine nicht unerhebliche Mitgift einbrachte. Insgesamt vier Töchter und zwei Söhne entstammten dieser Ehe.[8]

Die Geburtsstunde des Wiener Kaffeehauses beschert uns Diodato schließlich indem er in Würdigung seiner Verdienste um die Bewilligung ansuchte jenes „Türkhische Getränkh, als Caffé, The und Scherbet [ein Art Limonade], zu praeparieren [...]“[9]. Am 17. Jänner 1865 erhielt er diese Genehmigung verbunden mit dem Privileg, für 20 Jahre auch das Monopol auf den Kaffeeausschank zu besitzen.[10] Das Kaffeehaus selbst wird er wohl nur wenige Tage danach tatsächlich eröffnet haben und zwar gleich in seinem Wohnhaus. Mittlerweile wohnte Johannes Diodato aber nicht mehr in der Goldenen Gans, wo er sein Handels-Gewölbe gehabt hatte, sondern im Hachenbergischen Haus – auch dieses nahe dem Maut- und Waaghaus. Heute würde die Adresse in etwa der Rotenturmstraße 14 entsprechen. Die Lage war ideal, denn ihn diesem „Grätzel“ konzentrierte sich der ganze Handelsverkehr nach Südosten und die Händler waren – weil aus dem Osmanischen Reich mit dem neuartigen Gebräu ja schon bekannt – die ideale Kundschaft.[11]

Obwohl Diodato nach Gründung des ersten Wiener Kaffeehauses aus geschäftlichen Gründen für lange Zeit aus Wien abwesend war, lief das Geschäft weiter. Er führte es mit Hilfe von „Kaffeedienern“ wohl unter der Leitung seiner Frau weiter.[12] Doch während seiner Abwesenheit hatte sich die Hauptstadt verändert. Kaffee war mittlerweile zum Modegetränk geworden - und auch die Konkurrenz schlief nicht. Im Jahre 1697 – also noch lange vor Ablauf von Diodatos Privileg – erhielt ein gewisser Isaak de Luca, ebenfalls armenischer Abstammung – das Bürgerrecht und die Gewerbeberechtigung als „Bürgerlicher Kaffeesieder“. Die Stadt war eben gerne bereit, das für sie steuerlich ungünstige Treiben der „Hofbefreiten“ zu untergraben.[13] Für Diodato bedeutete das ernste Konkurrenz. Denn er hatte zwar 1690 das Bürgerrecht bekommen, aber trotzdem den Status eines „Hofbefreiten“ nicht aufgegeben – weil er damit eben von der Steuer befreit war. 1708 drohten ihm deshalb Zwangsmaßnahmen seitens der Stadt. Diodato war zwar mittlerweile ausgesprochen wohlhabend – auf einigen seiner Grundstücke befanden sich sogar Mietshäuser – doch er argumentierte damit, er habe ja diese Gründe nicht mit seinem Geld, sondern mit der Mitgift seiner Frau erworben. Dieser Argumentation wurde zwar stattgegeben, aber Diodato schnitt sich damit letztlich ins eigene Fleisch – denn damit war ihm die Aufnahme in die Zunft der bürgerlichen Kaffeesieder verwehrt.[14]

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Johannes Diodato in einem seiner Häuser – dem Haus „Zum Grünen Elefanten“ in der Leopoldstadt. Dort verlor er im Jänner 1725 seine Frau, wenige Monate später am 17. Mai 1725 starb auch Diodato – wohl rund 85 Jahre alt. Beide wurden in der Gruft der Kirche St. Leopold beigesetzt.[15]

Durch Isaak de Luca wurde 17 Jahre nach der Gründung des ersten Kaffeehauses in Wien die Kaffeesiederei im bürgerlichen Gewerbe Wiens verankert. Von da an verbreiteten sich Kaffee und Kaffeehaus in Wien[16] – doch das ist bereits wieder eine andere Geschichte.


Bildnachweis:

Franz Schams (Lithograf), Franz Schams (Künstler), "Das erste (Kulćzyčki'sche) Kaffeehaus in Wien, 1684 / Vom oesterreichischen Kunstvereine in Wien, 1862" - Darstellung des vermeintlich "ersten", der Legende nach von Georg Franz Kolschitzky betriebenen Wiener Kaffeehauses ("Zur blauen Flasche"), 1862, Wien Museum Inv.-Nr. 47913, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/428262/)


Quellen und weitere Infos:

Desiree Augustin, Die Wiener Kaffeehauskultur, Diplomarbeit, Wien 2012.

Karl Teply, Die Einführung des Kaffees in Wien. Georg Franz Kolschitzky, Johannes Diodato, Isaak de Luca, Wien 1980.

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Kaffeehaus

https://www.unesco.at/kultur/immaterielles-kulturerbe/oesterreichisches-verzeichnis/detail/article/wiener-kaffeehauskultur




[1] www.unesco.at

[2] Augustin, S. 46ff.

[3] Teply, S. 58.

[4] Teply, S. 10f.

[5] Teply, S. 61ff.

[6] Teply, S. 66ff.

[7] Teply, S. 69ff.

[8] Teply, S. 74.

[9] Augustin, S. 49.

[10] Teply, S. 104.

[11] Teply, S. 104ff.

[12] Teply, S. 106.

[13] Teply, S. 158ff.

[14] Teply, S. 75.

[15] Teply, S. 185f.

[16] Augustin, S. 50f.