Der Hof kehrt – vorläufig – zurück

Was Jahrhunderte lang keinem Eroberer geglückt war, das gelang Napoleon Bonaparte – er nahm die Kaiserliche Haupt- und Residenzstadt Wien ein. Doch schon zuvor hatte der Kaiserhof die Stadt verlassen, um etwas mehr als zwei Monate später triumphal zurückzukehren.

Von Beginn an hatte die Französische Revolution  auch die Habsburgermonarchie in schwere Turbulenzen gestürzt. Die Nachricht von der Revolution traf in einer kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt ein, die von den Reformen Kaiser Josephs II. tief erschüttert war. Der Kaiser starb zudem noch völlig überraschend 1790 im Alter von nur 49 Jahren. Angesichts der nun schon dramatischen Lage für das Heilige Römische Reich wurde Josephs Bruder Leopold II. ohne größere Diskussionen zu seinem Nachfolger gekrönt. Doch auch ihm sollte eine nur recht kurze Regierungszeit gegönnt sein. Schon 1792 starb auch er, wenige Wochen vor seinem 45. Geburtstag. Erneut ging es rasch mit der Kaiserwahl, trotz der Spannungen im Reich und der erst 24-jährige Erzherzog Franz wurde der Nachfolger seines Vaters[1]. Dennoch erklärte Frankreich quasi mitten hinein in das ohnehin nur knapp vier Monate dauernde „Interregnum“ dem designierten Nachfolger Franz noch als „Erzherzog von Österreich und König von Böhmen und Ungarn“ sowie dem Preußischen König Friedrich Wilhelm II. den Krieg – der Auftakt für die nun folgenden Koalitionskriege.[2]

Nun warteten 23 harte Jahre auf die Völker Europas – 4,7 Millionen Kriegstote und mehr als eine Million zivile Opfer forderte das Kräftemessen, das den Menschen schon damals als „Weltkrieg“ erschien.[3] Die kaiserliche Residenzstadt Wien war in den ersten Jahren des Krieges – oder vielmehr, der Kriege – nur mittelbar betroffen. 1797 rückte Napoleon in die Steiermark ein und nun schien auch Wien erstmals direkt gefährdet. Schon rüsteten sich im „Wiener Aufgebot“ 8.500 patriotische Wiener Männer um dem Feind entgegentreten zu können. Doch nach dem Vorfrieden von Leoben und dem Frieden von Campo Formio war die Gefahr für die Hauptstadt fürs Erste gebannt – allerdings tatsächlich nur fürs Erste! Die verheerenden Niederlagen der Koalitionskriege brachten den Kaiser immer mehr unter Zugzwang. Auch die wirtschaftliche Lage der habsburgischen Länder war prekär. Der Kaiserkrönung Napoleons am 18. Mai 1804[4] konnte Franz II. nur hilflos zusehen, allerdings entschloss er sich, nun mit dem Patent vom 7. Dezember 1804 auch für das Haus Habsburg eine eigenständige Kaiserkrone zu schaffen, unabhängig vom Heiligen Römischen Reich, das unter dem Druck Napoleons immer mehr ins Wanken geriet.[5]

1805 geschah nun allerdings das, was zwei Mal mit knapper Not hatte abgewendet werden können – Wien wurde von den französischen Truppen eingenommen. Den sogenannten Dritten Koalitionskrieg hatte Österreich vollkommen unvorbereitet begonnen, um England vor einer französischen Invasion zu bewahren. Nur Wochen nach Kriegsbeginn musste man sich in Wien auf die Belagerung vorbereiten. Da ernsthafter Widerstand ohnehin zwecklos gewesen wäre, hatte der Kaiser den Befehl gegeben, die Stadt nicht zu verteidigen. Dennoch wurden natürlich Maßnahmen getroffen, erneut wurde eine Bürgerwehr einberufen, der Linienwall wurde besetzt und die Patrouillen verstärkt. Anfang November schließlich wurden der Hof, die Zentralbehörden und das diplomatische Korps aus der Stadt evakuiert. Auch viele Adelige und reiche Bürger verließen Wien. Am 8. November schließlich verließ auch der Kaiser die Residenz – zwei Tage später standen die Franzosen bereits in Sieghartskirchen – nicht einmal 35 Kilometer von der Residenzstadt entfernt. Am 13. November erreichten sie die Stadt. Napoleon selbst zog einen Tag später in die Haupt- und Residenzstadt ein.[6] Diesmal gab es kein patriotisches Erwachen der Bevölkerung. Im Gegenteil, durch die wirtschaftliche Not bedrückt, begrüßte so mancher den Einzug der französischen Truppen. Auch der Geist der Französischen Revolution genoss ja durchaus bei vielen Bürgern Sympathie.[7] Dennoch hatten die Wiener unter den 3.000 Mann der französischen Besatzung zu leiden. Diese benahmen sich in der Stadt zwar ausgesprochen diszipliniert, doch die Forderungen nach Verpflegung und Kontribution machten der ohnehin wirtschaftlich schon stark belasteten Bevölkerung schwer zu schaffen.[8]

Doch nicht nur die Wiener litten, auch die Kaiserin war von der Vertreibung scher getroffen. Maria Theresia von Bourbon-Sizilien war die zweite Gemahlin Kaiser Franz II./I. Sie war 1790 als 18-Jährige die Frau des vier Jahre älteren Thronfolgers geworden, noch nicht ahnend, dass sie nur zwei Jahre später nach dem plötzlichen Tod ihres Schwiegervaters selbst Kaiserin werden sollte. Maria Theresia war die älteste Tochter von Maria Karolina, einer Tochter Kaiserin Maria Theresias, der sie ihren Namen verdankte und des Königs Ferdinand I. beider Sizilien. Mit ihrem Gemahl Franz, den sie im Übrigen erst heiraten konnte, nachdem Joseph II., der sich gegen diese Verbindung vehement gewehrt hatte[9], gestorben war, war sie eng verwandt. Ihre Mutter Maria Karolina und der Vater ihres Bräutigams Franz, waren Geschwister gewesen und Franz´ Mutter Maria Ludovika war wiederum die Schwester von Maria Theresias Vater, König Ferdinand I. beider Sizilien gewesen. Als Cousin und Cousine im doppelten Sinne, waren sie beinah so eng verwandt wie Bruder und Schwester, was für die zukünftigen Kinder des Paares noch verheerende Folgen haben sollte.[10]

Ihre Herkunft als Tochter Maria Karolinas machte es ihr aber auch so besonders bitter, im Winter 1805 aus Wien fliehen zu müssen. Denn auch ihre Familie hatte bereits vor Napoleon fliehen müssen. Ihre Mutter, die als eine der standhaftesten Gegnerinnen Napoleons galt, lebte mit einer kurzen Unterbrechung ab 1800 zeitweilig im Wiener Exil.[11] Dort war sie allerdings gar nicht so gerne gesehen, der Kaiser und mit ihm seine Gemahlin Maria Theresia hofften noch, sich trotz aller Verluste doch mit Napoleon arrangieren zu können, während Maria Karolina stets beteuerte, den Usurpator Napoleon bis aufs Äußerste bekämpfen zu wollen. Dieser Konflikte wegen, kehrte sie 1802 nach Neapel zurück.[12] Als Napoleon nun auch Wien überrannte und den Hof zur Flucht zwang, wird die junge Kaiserin wohl an die zahlreichen Warnungen und Appelle ihrer Mutter gedacht haben.

Doch die kaiserliche Familie musste nicht lange im Exil ausharren. Nach der berühmten „Dreikaiserschlacht“ am 2. Dezember in Austerlitz waren die Verbündeten Österreich und Russland schwer geschlagen. Kaiser Franz II./I. musste im Frieden von Pressburg enormen Gebietsverlusten am Balkan und in Italien zustimmen. Auch Tirol und Vorderösterreich gingen verloren und Österreich hatte Entschädigungen von 40 Millionen Gulden zu zahlen. Doch zwei Tage nach dem Friedensschluss kehrte Napoleon dem Schloss Schönbrunn, wo er sein Quartier aufgeschlagen hatte den Rücken und am 12. Jänner 1806 verließen auch die letzten französischen Truppen Wien. Vier Tage später, am 16. Jänner 1806 kehrte das Kaiserpaar in die Residenzstadt zurück.[13]

Nur etwas mehr als ein Jahr nach der glorreichen Rückkehr aus der Verbannung starb Maria Theresia – etwas weniger als zwei Monate vor ihrem 35. Geburtstag! Sie musste es daher nicht mehr miterleben, dass der Hof zum zweiten Mal vor Napoleon aus der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt floh.[14] Auch die Heirat ihrer Tochter Marie Luise mit dem Erzfeind Napoleon erlebte sie nicht mehr mit – genauso wenig wie die Niederlage des verhassten Kaisers der Franzosen. Doch das ist bereits wieder eine andere Geschichte….


Literaturverzeichnis:

Buchmann, Bertrand Michael. „Politik und Verwaltung.“ In Wien. Geschichte einer Stadt, von Peter Csendes und Ferdinand Oppl, 85-127. Wien/Kön/Weimar: Böhlau, 2006.

Hamann, Brigitte. Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon. Wien: Carl Ueberreuter, 1988.

Leitner, Thea. Habsburgs verkaufte Töchter. Berlin/München: Piper, 1994.

Mazohl, Brigitte. „Vom Tod Karls VI. bis zum Wiener Kongress (1740-1815).“ In Geschichte Österreichs, von Thomas Winkelbauer, 290-358. Stuttgart: Reclam, 2015.

Sachslehner, Johannes. Wien. Eine Geschichte der Stadt. Wien/Graz/Klagenfurt: Styria, 2012.


Bildnachweis:

Johann Caspar Weinrauch (Kupferstecher), Rückkehr des Kaiserpaares (Franz II. und Maria Theresia von Bourbon-Neapel) am 16. Jänner 1806 nach Wien , 1807, Wien Museum Inv.-Nr. 31612, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/60358/)


 


[1] Hamann, S. 130f.

[2] Mazohl, S. 307ff.

[3] Mazohl, S. 309.

[4] Leitner, S. 200.

[5] Sachslehner, S. 189ff.

[6] Buchmann, S. 91ff.

[7] Sachslehner, S. 191.

[8] Buchmann, S. 94

[9] Leitner, S. 185f.

[10] Hamann, S. 344f.

[11] Hamann, S. 326.

[12] Leitner, S. 199f.

[13] Sachslehner, S. 190 und Buchmann, S. 94.

[14] Sachslehner, S. 192.