Die Leiden Christi – 70 Mal vertont!

Insgesamt 70 Vertonungen erfuhr das Libretto des Oratoriums La passione di nostro signore Gesù Cristo des kaiserlichen Hofdichteres Pietro Metastasio. Den tatsächlichen Ort dieser Aufführung kann man heute nicht mehr mit absoluter Sicherheit lokalisieren, sehr wahrscheinlich erklang das Werk aber erstmals im heute nicht mehr existierenden Hof-Burgtheater am heutigen Michaelerplatz.

Pietro Metastasios Libretto der Azione Sacra[1]  La passione di nostro signore Gesù Cristo war bereits im Jahre 1730 entstanden, 20 Jahre vor der Geburt des später vertonenden Komponisten, und bildete dann die Grundlage für eines der ersten geistlichen Werke des zu dem Zeitpunkt noch recht jungen Salieri.

Antonio Salieri war wie der Tondichter selbst gebürtiger Italiener und wurde 1750 in Legnano in der Provinz Verona geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern - sie starben als er 13 bzw. 14. Jahre alt war – ging er zuerst nach Padua, dann nach Venedig und lernt dort, erst 16-jährig den Kaiserlichen Kammerkomponisten Florian Leopold Gassmann kennen, der ihn einlud nach Wien zu kommen und ihn dort unterrichtete. In der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt fand der junge Musiker rasch Anschluss an Künstlerkreise und lernte unter anderem den bereits 68-jährigen Hofdichter Pietro Metastasio kennen.

Nach Gassmanns Tod 1774 wird Salieri in dessen Nachfolge zum kaiserlichen Kammerkomponisten und Kapellmeister der italienischen Oper ernannt. In dieser Zeit jedoch entbrannte in Wien eine Art von „Nationalitätenkampf“ um die Sprachdominanz auf den Bühnen der Kaiserstadt. Der Hof selbst war seit jeher mehrsprachig – wobei Deutsch stets im Hintergrund stand – doch Joseph II wollte aus staatspolitischen Gründen im Sinner einer stärkeren Identitätsstiftung das Deutsche auf den Theaterbühnen stärken. Das Theater war aus seiner Sicht ein ideales Mittel der Erziehung des Volkes.  

Daher wurde einer Zeit lang dem deutschen Singspiel der Vorzug gegeben und es kam immer wieder zu Konkurrenzsituationen zwischen den Vertretern beider Richtungen. Antonio Salieri schlug sich dabei aber sehr gut – einen musikalischen Wettstreit, den Joseph II 1786 bei einem Fest zu Ehren seiner Schwester Marie Christine austragen ließ, gewann klar Antonio Salieri! Einige Jahre danach soll es zu einem Konflikt um das Libretto von Così fan tutte gekommen sein.

Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die oft kolportierte Feindschaft zwischen Mozart und Salieri zu betrachten, die sogar in der Legende gipfelte, Salieri hätte Mozart aus Eifersucht vergiftet. Dieses Gerücht hielt sich so hartnäckig, dass es etwa in den 1890er Jahren sogar von Nikolai Rimski-Korsakow in der Oper Mozart und Salieri thematisiert wurde und heute den meisten aus Milos Formans Amadeus bekannt ist.

Antonio Salieri schuf in seinen 75 Lebensjahren jedenfalls ein riesiges Werk. Allein 49 Opern und Opernfragmente, dazu eine schier unüberschaubare Anzahl an Einlagearien, aber auch Serenaden, Sinfonien oder Kammermusik und daneben eine Vielzahl an geistlichen Kompositionen wie Oratorien, Psalmen und Kantaten stammen aus seiner Feder.

Eines der ersten großen geistlichen Werke war eben das Oratorium über die Leiden Jesu Christi -  La passione di nostro signore Gesù Cristo. Das ursprünglich für Antonio Caldara verfasste Libretto war in dessen Vertonung schon 1730 zum ersten Mal in der Hofburgkapelle zu Wien erklungen. Nun, 47 Jahre später, nahm sich Antonio Salieri des Textes seines Gönners Pietro Metastasio an. Der greise Dichter soll Salieris Werk  auch tatsächlich besonders geschätzt und sogar in Gegenwart des Kaisers erklärt haben, „es sey diese Musik die ausdrucksvollste, von allen, die auf dieses Gedicht gemacht wurden“.

Antonio Salieri schrieb sein Oratorium für die Wiener Tonkünstlersozietät, die auch stets als Ort der Uraufführung genannt wird. Ins Leben gerufen wurde diese Gesellschaft übrigens von Salieris Lehrer Gassmann einige Jahre zuvor als eine Art Standesvertretung der Wiener Berufsmusiker und vor allem auch zur sozialen Absicherung von Musikern und deren Angehörigen. Die Mitglieder hatten einen einmaligen Beitrag zur Aufnahme von 300 Gulden sowie jährliche Mitgliedsbeiträge von 12 Gulden zu entrichten. Darüber hinaus stellten die Einnahmen der als Akademien bezeichneten Konzerte im Hofburgtheater, die noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts für das Wiener Konzertleben bedeutend waren, einen wichtigen Teil der Einnahmen des Vereins dar.

Diese Verbindung des Hofburgtheaters mit der Tonkünstlersozietät lässt es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass auch die Uraufführung von La passione di nostro signore Gesù Cristo am 18. Dezember 1777 hier stattgefunden haben könnte, da der Aufführungsort meist nur mit Tonkünstlersozietät angegeben wird.

 

Quellen und weitere Infos:

 

Elisabeth Fritz-Hilscher, Die großen Oratorien-Produktionen der Tonkünstler-Societät in Wien – Kontrapunkt oder Nachfolger der höfischen Oratorienpflege des Barock? In: https://digilib.phil.muni.cz/bitstream/handle/11222.digilib/130213/1_MusicologicaBrunensia_49-2014-1_14.pdf?sequence=1

https://de.wikipedia.org/wiki/Antonio_Salieri

https://de.wikipedia.org/wiki/Pietro_Metastasio#Metastasio_am_Wiener_Hof

https://www.habsburger.net/de/kapitel/ein-kaiser-als-theaterdirektor-und-talentscout?language=en

https://de.wikipedia.org/wiki/Mozart_und_Salieri

https://kurier.at/kultur/mozart-und-salieri-keine-gegenspieler-sondern-kollegen/49.253.906

https://www.habsburger.net/de/kapitel/mozart-gegen-salieri-01-musikalischer-wettstreit-am-kaiserhof



[1] Geistliches Singspiel, Szenisches Oratorium