Paul Fabricius – Ein Universitätslehrer im 16. Jahrhundert

Als Paul Fabricius am 20. April 1589 starb, hatte er in den (wahrscheinlich) 61 Jahren seines Lebens viel erlebt. Er war aus dem heute polnischen Lubań über Nürnberg in die Kaiserstadt Wien gekommen und wirkte dort als Mathematiker, Astronom, Universitätsprofessor, Arzt, Botaniker, Kartograph und Poet. Seine Lebensgeschichte spiegelt aber nicht nur eine faszinierende Persönlichkeit wider, sondern auch eine Zeit, die von Umbrüchen und Konflikten geprägt war.

Geboren wurde Paul Fabricius wahrscheinlich im Jahr 1528. Sein Geburtsort Lauban in der Oberlausitz gehörte damals seit zwei Jahren zu den habsburgischen Ländern. Über seine Kindheit und Jugend aber auch seine Ausbildung wissen wir kaum etwas. (www.presseforschung.uni-bremen.de) 1553 kommt Fabricius jedenfalls nach Wien. Später schreibt er selbst über seine Berufung durch den Kaiser:

Ich bin Anno 1553 durch Herrn Dotorem Zassium als einen khöniglichen Abgesandten aus dem Reich von Nürnberg in namen und auf heaiß hochloblichster Gedächtnus Ferdinandi Röm.khonig. Mait etc. alhier gen Wien für einen Mathematicum[] zu ziehen erfordert worden.“ (Winter, S. 10f.)

Davor war er im Auftrag des späteren Philipps II am Reichstag gewesen und hätte wohl auch mit diesem nach Spanien gehen sollen. Auch davon berichtet uns Fabricius selbst:

in ausgang des grossen Reichstags, auch von den durchleuchtigsten Fürsten und Herrn Herrn Philippum (damals princen in Hispanien) mit In in Hispanien zu ziehen erfordert worden.“

Doch er geht zurück nach Nürnberg und von dort eben nach Wien. (www.presseforschung.uni-bremen.de)

Ab dem Wintersemester 1553/1554 wirkt er als Mathematicus secundus, also zweiter Mathematikprofessor, an der Artistenfakultät der Wiener Universität. Sein Jahresgehalt für diese Position beträgt 100 Gulden. (Winter, S. 11.) Das war durchaus kein schlechtes Gehalt. Ein Bierbrauer des Bürgerspitals „und sein Weib“ etwa erhielten lediglich 15 Gulden, ein Wundarzt 26 Gulden (Pribram, S.341), trotzdem war die Besoldung für Fabricius immer wieder Thema. Er klagt etwa, dass er aufgrund der niemals vollständig umgesetzten Reformpläne ohne Bezahlung zahlreiche Aufgaben mitübernehmen müsse. Auch sei ihm in den ersten Jahren seiner Tätigkeit das bei seiner Berufung versprochene Wohngeld von 30 Gulden jährlich nicht ausbezahlt worden. Seine Beschwerden hatten zumindest teilweise Erfolg, sein Salär wurde immerhin auf 120 Gulden aufgestockt. (Winter S. 15ff.)

Das Wohngeld stand ihm zu, da er nicht zu den „collegiaten“ gehörte, also jenen Universitätsangehörigen, die auch in der Universität eine Dienstwohnung erhielten. Wir wissen heute dank alter Grundbucheintragungen und des Hofquartierbuches von einigen Wohnstätten Fabricius in Wien. So wohnte er wohl in seinen ersten Jahren in Wien in einem Zimmer in der Wollzeile 26. Eine weitere Wohnung scheint er für einige Zeit in der Wallnerstraße besessen zu haben. 1560 schloss er einen Vertrag über ein Wohnrecht im Neuberger Hof (Grünangergasse) ab. Demnach durfte er sogar den von ihm bewohnten Teil des Hauses nach Belieben umbauen. Das Gebäude gibt es, wenn auch seither mehrfach umgebaut, übrigens heute noch! Wer an dem ausgesprochen weitläufigen Bauwerk heute vorbeigeht kann sich vorstellen, dass Fabricius darin wahrscheinlich trotz seiner finanziellen Beschwerden kaum ärmlich gewohnt haben dürfte. Denn der gesamte Komplex war auf lediglich vier Wohnungen aufgeteilt. (Winter S. 15ff.)

Das Privatleben des Paul Fabricius ist ein tragischer Spiegel seiner Zeit. Wir wissen von seiner Heirat mit der Jungfer Walpurga im Jahre 1555. Durch den erhaltenen „Heiratsbrief“, also einen Ehevertrag wissen wir, dass Fabricius trotz seiner Klagen über die mangelnde Besoldung in finanziell gesicherten Verhältnissen lebte. Aus der Ehe mir Walpurga gehen offenbar fünf Töchter hervor. Fabricius erwähnt sie selbst in einem Text, der während eines Aufenthalts in Častá in der heutigen Slowakei, damals Schattmannsdorf genannt, geschrieben wurde. Die Familie weilte dort, weil in Wien wieder einmal die Pest wütete und Fabricius daher beurlaubt war. Er nutze während dieser Zeit seine physikalischen Fähigkeiten um ein unterirdisches Wasserreservoir nutzbar zu machen. Doch die Ehe mit Walpurga scheint bereits seine zweite gewesen zu sein, denn aus ihrem Testament erfahren wir von einer Stieftochter namens Anna. Walpurga stirbt im Jahre 1572. Paul Fabricius heiratet dann ein drittes Mal. Barbara, so der Name seiner letzten Gattin, sollte Paul Fabricius schließlich überleben. Doch Paul Fabricius musste offenbar nicht nur seine beiden ersten Ehefrauen begraben, sondern auch seine sechs Töchter. Denn die Bestimmungen seines Testaments sehen zwar seine Frau Barbara und eventuell bis zu seinem Tode noch geborene Nachkommen ein, erwähnen aber keine der Töchter mehr. (Winter S. 18ff.)

Weit erfreulicher als sein privates Leben entwickelte sich die Karriere des Paul Fabricius, obwohl sie sich in einer insgesamt krisenhaften Zeit entwickeln musste. Das 16. Jahrhundert, in dessen Mitte Paul Fabricius nach Wien kam, war eine Zeit des Umbruchs und der Krisen. Die Glaubensspaltung und die Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten erschütterten ganz Europa zutiefst. Die Heere des Osmanischen Reichs bedrohten immer wieder Westeuropa und belagerten auch die Kaiserliche Haupt- und Residenzstadt Wien und die Pest suchte Wien innerhalb von nur 80 Jahren sechs Mal heim! (www.geschichtewiki.wien.gv.at/Pest)

Es war aber – und das vielleicht gerade wegen der zahlreichen Krisen - auch eine Zeit der Erneuerung. Für Paul Fabricius etwa entscheidend war die Universitätsreform Kaiser Ferdinands I. Nachdem die Wiener Universität noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts die meistbesuchte Hochschule nördlich der Alpen war, kam es ab den 1520er Jahren durch die Gründung zahlreicher protestantischer Universitäten im deutschen Sprachraum zu einem Rückgang der Studentenzahlen und damit einem Verlust an Unterrichtsqualität. Auch die finanzielle Basis der Universität geriet dadurch ins Wanken und schließlich war sogar der Bestand der Universität selbst bedroht.

Die Habsburger trachteten daher danach, der Universität wieder zu neuem Glanze – aber vor allem zur alten Religion zu verhelfen. In mehreren Reformschritten ab den 1530er Jahren wurde die Universität daher neu aufgestellt. 1551 wurden zudem die Jesuiten nach Wien berufen und 1554 schrieb Ferdinand I die bis dahin beschlossenen Reformgesetze nochmals in der Reformatio nova fest. (https://geschichte.univie.ac.at)

Im Zuge der Reformen wurden auch Professoren nach Wien berufen – einer davon war Paul Fabricius. (Winter, S. 4.) Doch Fabricius beließ es nicht bei seinem Wirken als kaiserlicher Mathematiker sondern immatrikulierte wenige Jahre nach seinem Eintreffen in Wien auch an der Medizinischen Fakultät und schloss dort 1557 mit dem Doktorat ab (Winter S. 14.)

Nur ein Jahr später wird er zum ersten Mal zum Dekan gewählt und fertigt für seine Fakultät das erste in Wien hergestellte Präparat eines menschlichen Skelettes an. (Winter S. 33.) Er sorgte während seiner Dekanate auch dafür, dass die in den kaiserlichen Reformen eigentlich jährlich vorgesehenen Leichenöffnungen zu Schulungszwecken zumindest zwei Mal durchgeführt wurden. Ansonsten wurde diese Vorschrift eher lax genommen – zwischen 1558 und 1604 fanden nur zwei Sektionen statt. (Winter S. 34 und S. 48)

Darüber hinaus forderte die Tätigkeit für die Medizinische Fakultät oftmals sein ganzes Geschick. Es galt den Streit mit den Apothekern zu schlichten (Winter S. 47) oder die Arbeit der Bader und Chirurgen zu überwachen,  aber auch sich mit Ärzten auseinanderzusetzen, die ohne Erlaubnis in Wien praktizierten. (Winter S. 37ff.)

Eine immer wieder problematische Aufgabe war die Besetzung des Magister sanitatis, also quasi der städtischen Sanitätsbehörde. Denn der Arzt, der dieses Amt ausfüllte, hatte vor allem in Zeiten der Pest keine leichte Aufgabe. Erstens war er stets in Gefahr sich selbst oder seine Familie anzustecken und zweitens wollten andere Patienten nichts mit ihm zu tun haben, eben aus Angst vor Ansteckung, was natürlich seine Einnahmemöglichkeiten massiv schmälerte! So geschah es während Fabricius zweitem Dekanat, dass sich der Magister sanitatis Johann Neumann 1568 mit der Pest infizierte und starb. Einen Nachfolger zu finden, erwies sich als schier unlösbare Aufgabe! (Winter, S. 43f.)

Fabricius muss ein Mann mit ungeheurer Tatkraft gewesen zu sein, denn neben all diesen Aufgaben übernahm er auch noch die Verwaltung einer Stiftung, die Jahre zuvor zugunsten mittelloser Medizinstudenten gegründet worden war und wirkte als Arzt im Bürgerspital. (Winter, S. 50ff.)

Daneben war Fabricius aber auch auf anderen Gebieten wissenschaftlich tätig. Noch heute erhalten sind einige der von ihm verfassten Schreibkalender inklusive der darin befindlichen astrologischen Prognostiken und Tafeln. Dazu verfasste er Schriften über zwei Kometen (Winter S. 62ff.) und einer Supernova im Jahre 1572. Im Vorfeld der Kalenderreform (Umstellung vom Julianischen auf den Gregorianischen Kalender) wurde er von Kaiser Rudolph II beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. (www.presseforschung.uni-bremen.de) Dazu brachte er noch einen Druck heraus, in dem er die Umstellung allgemeinverständlich erklärte und die beiden Kalender gegenüberstellte und eine teils sehr leidenschaftlich argumentierte Verteidigung der Reform, die er ebenfalls im Auftrag des Kaisers verfasste. (Winter, S. 73ff.)

Paul Fabricius hat aber, wie schon im Zusammenhang mit der Wasserförderung in Častá erwähnt, auch durchaus praktische Seiten.  Er ließ Stiche mit Sonnenuhr-Zifferblatt drucken, die auf Holzsäulchen aufgeklebt werden konnten und erneuerte die große Schau-Uhr in Olmütz. (Winter S. 85f).

Dazu beschäftigte sich Paul Fabricius intensiv mit der Botanik. Er legte einen Botanischen Garten auf einem Abhang in dem Bereich des Gefälles zwischen der heutigen Währinger Straße und Liechtensteinstraße an und bestieg gemeinsam mit dem Arzt und Botaniker Johannes Aichholz und dem berühmten Botaniker Carolus Clusius am 22. August 1574 erstmals den Ötscher. Dort wollte er nicht nur die Flora erforschen – immerhin verfasste Fabricius das erste Werk über die Botanik der Umgebung Wiens – sondern auch Messpunkte suchen, denn er betätigte sich auch als Kartograph. Die geplante Karte Österreichs ist zwar nicht mehr erhalten, sehr wohl aber eine der Grafschaft Mähren. (Winter S. 88f.)

Es scheint fast schon überflüssig zu erwähnen, dass auch das für einen Mann vom Format eines Paul Fabricius noch nicht reichte. Denn zu den Werken, die wir heute noch von ihm kennen, zählen vor allem seine Reden und poetischen Texte. Seine in hervorragendem Latein abgefassten Gedichte schrieb er zu Hochzeiten, aber auch für Begräbnisse, für die verschiedensten Anlässe der Universität oder zur Huldigung der Habsburger. (Winter S. 93ff.)

Paul Fabricius wurde etwa 60 Jahre alt. In dieser Zeit erlebte er den Tod von sechs Kindern und zwei Ehefrauen, überstand in Wien drei Pestepidemien und legte ein fast unglaubliches Arbeitstempo an den Tag. Ein solches Leben hinterließ aber schließlich seine Spuren.

1587, zwei Jahre vor seinem Tod, ersucht Fabricius wegen seines hohen Alters und da er „vast muede“ sei darum in Ruhestand gehen zu dürfen, aber gleichzeitig sein Gehalt weiter beziehen zu können, da es üblich sei, dass dies einem Emeritus bereits nach 24 Jahren bewilligt werde, er aber sogar 34 Jahre seinem Kaiser und der Universität gedient hätte. Fabricius war bis zum Schluss geistig rege. Er verfasste noch einen letzten Kalender für das Jahr 1590, den seine Witwe Barbara nach seinem Tod herausbringen sollte. In diesem Kalender gibt er für den 1. April 1589 als Aufenthaltsort „Oberlach“ an(Winter S. 28ff.), was wohl als das heutige Wien Oberlaa zu entschlüsseln sein dürfte.[1] Wir wissen nicht, ob er in seiner Wiener Wohnung im Neuberger Hof gestorben ist, die er wohl bis zum Schluss bewohnt haben dürfte (Winter S. 15ff.), oder an einem nicht genannten Ort, etwa in Oberlaa, wo er sich wie erwähnt jedenfalls 19 Tage vorher aufgehalten hat. Denn außer einem Eintrag in die Österreichische Nationsmatrikel kündet heute nichts mehr vom Tod des Paul Fabricius am 20. April 1589. (Winter S. 133)

 

Bildnachweise:

August Stauda (Fotograf), 1., Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 1 (früher Universitätsplatz) - Alte Universität, um 1900, Wien Museum Inv.-Nr. 23989, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/77877/)

C. Ledermann jun. (auch: Karl Ledermann) (Hersteller), Universitäts-Platz. - Wien I., 1899 (Gebrauch), Wien Museum Inv.-Nr. 65861/114, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/426885/)

 

Quellen und weitere Infos:

Alfred Pribram, Materialien zur Geschichte der Preise und Löhne in Österreich, Wien 1938.

Robert Winter, Paulus Fabricius. Ein Universitätsprofessor des 16. Jahrhunderts, Ungedruckte Dissertation, Wien 1980.

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Paul_Fabricius

https://www.presseforschung.uni-bremen.de/dokuwiki/doku.php?id=fabricius_paul

https://geschichte.univie.ac.at/de/themen/die-universitaetsreformen-unter-ferdinand-i

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Pest

 

 



[1] https://www.aerztebriefe.de/aDISWeb/app;jsessionid=6B1DC689DBD2B344E9AD5792C01E8BE9