Vienna Pannonie – Die Schedelsche Weltchronik

Am 23. Dezember 1493 verließ ein für seine Zeit nahezu revolutionäres Buch die Druckerpresse – um bis heute – 527 Jahre später – eine unglaubliche Faszination auf jeden auszuüben, der mit dem Werk in Berührung kommt: Das auch Schedelsche Weltchronik genannte Liber Chronicarum.

Das ursprünglich auf Latein verfasste Buch war eine Auftragsarbeit reicher Nürnberger Kaufleute. Sebald Schreyer und Sebastian Kammermeister hatten den hochgebildeten und weitgereisten Humanisten und Arzt Hartmann Schedel mit der Abfasung einer Weltchronik betraut.

Schedel war für diese Arbeit ideal. Er war seit früher Jugend ein wahrer Büchernarr. Jahre hatte der um 1440 in Nürnberg Geborene damit zugebracht, die Werke antiker Autoren abzuschreiben – gedruckte Bücher waren in seiner Jugend schließlich noch kaum vorhanden, denn als Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern ersann, war Schedel schon ein Schuljunge gewesen. Diese von Schedel selbst abgeschriebenen Bücher sollten der Grundstock für seine später berühmte Bibliothek werden, die schließlich von den Fuggern angekauft werden sollte. Diese Büchersammlung, seine Reisen und seine humanistische Bildung, die er vor allem während seines Medizinstudiums in Padua erworben hatte, machte Schedel nun zum idealen Autor – oder besser Kompilator – der gewünschten Weltchronik.

Denn die Chronik enthält kaum Eigenes, sie ist eine Kompilation, eine Zusammenstellung sowohl antiker als auch zeitgenössischer Werke. Sie orientiert sich zudem strikt an der mittelalterlichen Vorstellung von den sieben Weltaltern, deren erste fünf sich ausschließlich den Geschehnissen des Alten Testaments widmen. Erst im fünften Weltalter erscheint mit der Gründung Roms ein profanes historisches Ereignis in der ansonsten biblischen Überlieferung der Entstehung der Welt. Das sechste Weltalter schließlich umfasst die Gegenwart und hier nun bietet Schedel auch dem immer weltoffener werdenden, humanistischen Publikum eine umfassende Beschreibung und Darstellung wichtiger Städte – darunter auch Wiens. Doch obwohl er viele davon von seinen Reisen selbst kannte, verlässt er sich auch hier, ganz in kompilatorischer Tradition, vor allem auf Bewährtes.

Dabei reagiert er durchaus auch auf aktuelle Zeitströmungen – gerade zur Entstehungszeit der Chronik taucht der Zusatz „Deutscher Nation“ bei der Bezeichnung des Heiligen Römischen Reiches auf. 1486 etwa wurde die Bezeichnung  Nationis Germanicæ im Landfriedensgesetz Kaiser Friedrichs III. verwendet. Offiziell taucht der Zusatz auch 1512 in der Präambel der Beschlüsse des Reichstages auf. In Schedels Weltchronik wird nun desgleichen der Gedanke einer Fortsetzung des einst Römischen durch das nun Deutsche Kaisertum verfolgt.

„Modern“ macht das Werk auch seine deutsche Übersetzung – denn noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein waren wissenschaftliche Werke grundsätzlich auf Latein und noch Luthers Bibelübersetzung rund 30 Jahre nach dem Erscheinen der Weltchronik erschien revolutionär. Allerdings stammt diese Übersetzung nicht von Schedel, sondern von dem ursprünglich aus Augsburg stammenden Losungsschreiber[1] Georg Alt. Die Zurverfügungstellung von Wissen für zwar wissbegierige, gebildete – und natürlich auch zahlungskräftige - aber eben nicht gelehrte Leser, war für das 15. Jahrhundert daher eine absolute Besonderheit. Dass die deutsche Ausgabe nicht für den Wissenschaftler, sondern „nur“ für reiche Liebhaber gedacht war, sieht man übrigens auch daran, dass die deutsche Version deutlich gekürzt ist. Vor allem die konkreten Quellenangaben der lateinischen Ausgabe wurden stark verallgemeinert und die Länderbeschreibungen fielen knapper aus. Die Abbildungen allerdings wurden beibehalten!

Für diese 1.809 Illustrationen zeichnete die Werkstatt der Maler Michael Wolgemuet und Wilhelm Pleydenwurff verantwortlich. Wolgemuet, selbst angesehener Nürnberger Maler, hatte nach dem Tod von Hans Pleydenwurff, dessen Witwe, die Mutter Wilhelms, geheiratet und war in die Werkstatt eingestiegen. Diese bekam nun den Auftrag, die Darstellungen für die Weltchronik zu „reißen“, also die Vorzeichnungen für die Kupferstiche zu erstellen, was in der Rekordzeit von rund drei Wochen erledigt wurde! Allerdings waren es nicht 1.809 – so viele wie Abbildungen- sondern weniger als 1.000 (was aber natürlich immer noch eine gewaltige Menge ist). Zahleiche Stiche wurden nämlich in der Weltchronik mehrmals verwendet.

Diese Schnitte sind es auch, die der Schedelschen Weltchronik noch heute zu ihrem Ruhm verhelfen. Daher wurde bei der Erforschung der Chronik der Entstehungsgeschichte der Abbildungen auch die entsprechende Bedeutung beigemessen, zumal immer wieder auf die Annahme verwiesen wird, einige der Schnitte könnten unter Mitarbeit des jungen Albrecht Dürer entstanden sein. Gestützt wird diese Theorie meist durch stilistische Untersuchungen und einen angeblichen Vorvertrag zur Weltchronik. Doch tatsächlich sind die Verträge wohl erst 1491 geschlossen worden und Dürer, der ab 1486 tatsächlich in der Werkstadt Michael Wolgemuets lernte, hatte 1490 seinen Meister bereits verlassen um auf Wanderschaft zu gehen.

Doch auch ohne die Mitarbeit Dürers ist und bleibt die Schedelsche Weltchronik eine der schönsten und berühmtesten Inkunabeln, die schon zum Zeitpunkt der Drucklegung ein Luxusobjekt für reiche Liebhaber war – und noch heute gerne auch 6-stellige Auktionsergebnisse erzielt!

 

 

Quellen und Infos:

Christoph Reske, Schedelsche Weltchronik, publiziert am 11.04.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Schedelsche_Weltchronik

Xaver Schnieper, Die Schedelsche Weltchronik : eine Einführungund Würdigung. In:  Stultifera navis : Mitteilungsblatt der SchweizerischenBibliophilen-Gesellschaft = bulletin de la Société Suisse desBibliophiles, Band 7, Herft 3-4, Zürich 1950.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schedelsche_Weltchronik

https://de.wikipedia.org/wiki/Albrecht_D%C3%BCrer#Bis_zur_Selbstst%C3%A4ndigkeit_1497

https://de.wikipedia.org/wiki/Heiliges_R%C3%B6misches_Reich#Name



[1] Ein Losungsschreiber ist der Schreiber des Losungsamtes – also der Steuerbehörde. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961 Bd. 12, Sp. 1203 bis 1204.