Der Graf und die Zensur

Joseph Graf Sedlnitzky wurde am 8. Jänner 1778 als zweiter Sohn von Josef Graf Ordowas Sedlnitzky und seiner Gattin Maria Josepha, geborene Gräfin Haugwitz geboren. Die Familie war ein altehrwürdiges böhmisch-schlesisches Adelsgeschlecht, das Kaiser und Kirche treu ergeben war. Der Lebensweg des Knaben war damit quasi schon vorgezeichnet – mit 15 Jahren wurde er bei den k.k. Edelknaben des Oberstallmeisteramtes aufgenommen und begann seine juristischen Studien an der Universität. Mit 19 begann er schließlich seine Beamtenlaufbahn. Nach 18 weiteren Jahren – im Mai 1815 - wurde er zum Stellvertreter des kränklichen Polizeipräsidenten Hager bestellt und folgte ihm nach dessen Tod knapp ein Jahr später im Amt. [1]

Sedlnitzky war damit zum Leiter einer der im vormärzlichen System wichtigsten – und mächtigsten Behörden avanciert. Denn der Polizei- und Zensurhofstelle oblagen neben Verwaltungsaufgaben wie dem Meldewesen oder der Erteilung von Pässen auch die Entdeckung geheimer Gesellschaften, die Untersuchung von Staatsverbrechen, die Beeinflussung der öffentlichen Meinung – und die Zensur![2]

Kaiser Franz II./I. wünschte ein straffes Regiment zu führen. Nichts fürchteten die Habsburger in dieser Zeit so sehr, wie eine Revolution – der Eindruck der Französischen Revolution, die immerhin Marie Antoinette, der Tante des regierenden Kaisers das Leben gekostet hatte, war noch frisch und man war noch immer in die verheerenden Kriege gegen Napoleon verstrickt, die die Habsburger letztlich die Krone des Heiligen Römischen Reichs kosten sollten. Zudem war nur zwei Jahre nach dem Regierungsantritt des Kaisers Franz II./I. in Wien die sogenannte „Jakobinerverschwörung“ aufgedeckt worden, die zu scharfen polizeilichen Maßnahmen führte.[3] Franz war zudem nicht wie sein Vater Leopold II. und sein Onkel Joseph II. ein aufgeklärter Reformer, er war mehr der Typ biederer Beamter. Kein Wunder also, dass ihm der treu ergebene, gewissenhafte Graf Sedlnitzky besonders lag.

Zwischen 1815 und 1848 – also genau die Periode in der Sedlnitzky die Polizei- und Zensurhofstelle leitete – feierte der Polizeistaat seine Blütezeit. Die Monarchie sollte mit allen Mitteln vor den neuen, nicht zuletzt aus der Französischen Revolution entsprungenen Ideen wie Demokratie und Nationalismus bewahrt werden.[4] Auch alles was sonst wie unmoralisch und anstößig war, sollte hintangehalten werden. Überwacht wurde dabei alles und jeder. Neben der Zensur kam vor allem der Kontrolle aller „Fremden“ eine wichtige Funktion zu.

Zu den von der Zensur besonders überwachten Gruppen zählten nicht zuletzt die Theaterschaffenden, hatten sie doch eine breite Wirkung auf das zu kontrollierende Volk. Die Theaterdirektoren mussten daher alle neuen Stücke zuerst lesen und auf verdächtige Stellen hin prüfen, um die quasi „gereinigten“ Versionen der Zensurbehörde vorzulegen. Auch bereits bekannte Stücke hatten nochmals der Zensur übergeben zu werden und „Theater-Inspektionskommissare“ wohnten den Proben bei, um etwaige Änderungen zu überwachen und gegebenenfalls gleich an Ort und Stelle zu zensieren.[5] Die Gründe warum – auch schon längst bekannte und andernorts aufgeführte Stücke der Zensur zum Opfer fielen, waren vielfältig. Ein Singspiel wurde aus Rücksicht auf das Militär nicht zugelassen, weil darin „lockere“ also nicht eben vorbildliche Offiziere auftraten, eine Komödie wegen der „anstößigen Charakteristik“ eines Fürsten und sogar Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ wurde verboten, da er unmoralisches zeige.[6] Lessings „Nathan der Weise“ wurde mit seiner Botschaft der Toleranz selbstverständlich ebenso verboten, weil es den Bestimmungen zum Schutz der katholischen Religion widersprach.[7]

Für die Theater war das nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein finanzielles Problem – so beklagte sich etwa die Hoftheaterdirektion, dass bekannte und zugkräftige Stücke nicht zugelassen würden und dem Theater so Einnahmen entfielen. Man erbat entweder die finanzielle Unterstützung seitens des Hofes zu erhöhen oder gegebenenfalls die Zensur zu lockern.[8]

Aber nicht nur die Stücke selbst, sondern auch die Darsteller wurden streng überwacht. Sollte sich ein Schauspieler erlauben, zu „extemporieren“ – also den Text aus dem Stegreif während der Aufführung zu verändern drohten Haftstrafen von 24 Stunden bis zu 8 Tagen.[9] Auch der berühmte Johann Nestroy machte mehrfach unliebsame Bekanntschaft mit der Zensur – nicht nur als Autor, sondern auch als Schauspieler wurde er wegen des verbotenen Extemporierens zu Geld- und Arreststrafen verurteilt.[10]

Aber auch andere lehnten sich auf. Ignaz Franz Castelli etwa, der zwar heute fast vergessen ist, aber mit 199 Bühnenwerken[11] zu seiner Zeit einer der produktivsten und wichtigsten Theaterschriftsteller Wiens war, nannte seine beiden Hunde Sedl und Nitzky, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit – natürlich vor allem in Gegenwart der Polizei – provokant laut nach den beiden Tieren rufen zu können.[12]

Es klingt paradox, dass sich das Theater gerade in dieser Zeit der strengen Zensur wieder vermehrt zu einer Unterhaltungsindustrie entwickelte. Denn das Bildungsideal der Aufklärung, das das Theater noch als Bildungseinrichtung und Nationaltheater sehen wollte, war nun der – streng kontrollierten – leichten Unterhaltung gewichen. Ein breit gefächertes Repertoire oft schnell hingeschriebener Stücke bot insbesondere in den Vorstadttheatern – um es modern auszudrücken - vor allem Entertainment und Show![13]

Trotzdem man versuchte das Volk mit leichter Muse abzulenken, mehrten sich dennoch in den 1840er Jahren die Hinweise auf einen „herandrohenden Sturm“ wie Eduard Bauernfeld es nannte. Die wirtschaftlichen Bedingungen wurden immer prekärer. Die beginnende Industrialisierung mit all ihren negativen Auswirkungen auf die zunehmend wachsende Schicht der verelenden Arbeiterschaft und Missernten führten schon vor 1848 in einigen Kronländern zu Revolten. Sedlnitzky trachtete danach, dem drohenden Ungemach mit dem bewährten Mittel der Zensur zu Leibe zu rücken. Kritische Werke wurden verboten, ausländische Zeitungen eingeschränkt.[14] Doch die Ereignisse ließen sich nicht aufhalten. Bürger und Studenten forderten die Abschaffung der Zensur. Die Beurteilungen des über den diesbezüglichen Eingaben tagenden Konferenzial-Komitees, dem auch Sedlnitzky angehörte, wurden durch die Ereignisse obsolet gemacht. In diesem Zusammenhang wurden Sedlnitzky später nicht in seiner Funktion als Leiter der Zensurhofstelle, sondern als Chef der Polizeihofstelle schwere Vorhaltungen gemacht. Er habe bewusst den Kopf in den Sand gesteckt, Metternich und die übrigen Behörden in Sicherheit gewiegt, der Polizeiapparat sei nicht wachsam genug gewesen und habe so das Ausbrechen der Revolution überhaupt erst ermöglicht. Davon ist aber nicht auszugehen – vielmehr war es wohl die dem System innewohnende Trägheit des Polizeisystems, die eine rasche Reaktion verhinderte. Einerseits wollte man keine Panik auslösen und zudem wollte wohl kaum ein Polizeibeamter von sich aus tätig werden, jeder wartete auf den Befehl von oben - wobei der zuständige Polizeioberdirektor Muth wohl besonders untätig gewesen sein dürfte – und so geschah einfach gar nichts – oder zumindest zu wenig.[15]

Joseph Graf Sedlnitzky überlebte die Revolution – politisch – nur um drei Tage. Am 16. März 1848 bat er nach 51 Dienstjahren um seine Pensionierung. Er reiste am folgenden Tag gemeinsam mit dem ebenfalls abgesetzten Bürgermeister Ignaz Czapka nach Norden auf seine Güter ab.[16] Nach der Niederschlagung der Revolution kehrte er 1852 nach Wien zurück, um seinen Nachfolger zu unterstützen, doch die Wiener Gesellschaft empfing ihn keineswegs mit offenen Armen.[17] Sedlnitzky starb 1855 in Baden bei Wien in einer Zeit, in der die Habsburger die Revolution längst überwunden hatten und – zumindest für wenige Jahrzehnte – nach einer Rückkehr zum Absolutismus strebten – doch das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

 

Bildnachweis:

Unbekannt, "So wollen wir denn fort marschieren / Und anders wo das Glück probieren." (Satire auf die Flucht Metternichs, Sedlnitzky und Czapkas im März 1848), 1848, Wien Museum Inv.-Nr. 108993, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/11626/)


Quellen und Infos:

Michal Chvojka, Josef Graf Sedlnitzky als Präsident der Polizei- und Zensurhofstelle in Wien (1817-1848).

Gustav Gugitz, Castelli, Vinzenz Ignaz Franz. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 3, Berlin 1957, S. 172-173.

Brigitte Hamann, Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon, Wien 1988.

Georg Markus, Das kommt nicht wieder: Neue Geschichten aus alten Zeiten, Wien/München 1997.

Friedrich Sengle, Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution, 1875-1848, Band 3: Die Dichter, Stuttgart 1980.

Harald Sterk, Biedermeier, Wien 1988.

https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_von_Sedlnitzky

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Josef_Sedlnitzky_von_Choltic

https://de.wikipedia.org/wiki/Ignaz_Czapka

https://de.wikipedia.org/wiki/Klemens_Wenzel_Lothar_von_Metternich



[1] Chvojka, S. 25ff.

[2] Chvojka, S. 31ff.

[3] Hamann, S130f.

[4] Chvojka, S. 42.

[5] Chvojka, S. 199.

[6] Chvojka, S. 200f.

[7] Sterk, S. 74.

[8] Chvojka, S. 200f.

[9] Chvojka, S. 199.

[10] Sengele, S. 206.

[11] Gugitz, S. 173

[12] Markus, S. 200.

[13] Sterk, S. 67ff.

[14] Chvojka, S. 338ff.

[15] Chvojka, S. 335ff.

[16] Chvojka, S. 354.

[17] Chvojka, S. 363.