Die Schulpflicht als Nikolausgeschenk

Obwohl sich in den folgenden Jahrhunderten wohl nicht alle Kinder daran erfreut haben werden, erließ Maria Theresia ausgerechnet am Nikolaustag des Jahres 1774 die „allgemeine Schulordnung für die deutschen Haupt = Normal = und Trivialschulen in sammtlichen Kaiserl. Königl. Erbländern“. Damit wurde die Unterrichtspflicht für alle Kinder in Österreich erstmals eingeführt.

Doch schon davor hatte Maria Theresia sich um die Ausbildung der Jugend in ihrem Reich gesorgt, allerdings zu Beginn noch vor allem die Erziehung des Adels und die Lateinschulen in den Blick genommen. Schon 1746 hatte sie etwa das Collegium Theresianum gegründet, im dem die jungen Adelssöhne zu tüchtigen Staatsdienern herangezogen werden sollten.[1] Dieser Gedanke der Nützlichkeit für den Staat war es auch, der Maria Theresia zum Erlass der allgemeinen Schulordnung führen sollte – denn die Reform sollte vor allem fleißige, fromme und gehorsame Untertanen hervorbringen.[2]

Maria Theresia, die zwar ansonsten nicht allzu viel von Friedrich II. hielt, war aber doch klug genug, dort Anleihen zu nehmen, wo die Preußen dem Habsburgerreich überlegen waren – so auch im Schulwesen. Denn schon 1717 hatte Preußen die Schulpflicht eingeführt, andere protestantische Territorien gar noch weit früher – Pfalz-Zweibrücken sogar bereits 1592.[3]

Die Frage der Religion – also ob protestantisch oder katholisch - war überhaupt von Anbeginn der Schule entscheidend gewesen. Maria Theresia sagte schon Jahre vor dem Erlass der Schulordnung, dass das Schulwesen „allzeit ein Politicum“ sei. Doch damit meinte sich nicht, dass es Thema politischen Streits sei, sondern, dass die Schulen Angelegenheit des Staates – und nicht der Kirche seien![4]

Die ersten Schulen gingen auf die Klöster zurück. Auch Pfarrschulen standen den Kindern zur Verfügung. In Wien war deren bedeutendste die Schule bei St. Stephan. Diese stark kirchliche Prägung der Schulen führte dazu, dass die Reformation im 16. Jahrhundert zu einer ersten Krise des Schulwesens – und zum Erblühen der Schulen in den deutschen – sprich protestantischen - Territorien führte. Denn Luther hatte früh erkannt, dass die Reformation die Klöster und mit ihnen die Schulen schwächen würde und hatte die Landesherren aufgerufen, Schulen zu errichten. In den protestantischen Städten und Ländern wurde dem Folge geleistet. Zunächst hatte sich mit der Reformation auch in Österreich das evangelische Schulwesen ausgebreitet, im Zuge der Gegenreformation musste es allerdings neu organisiert werden. Da sich damals die Habsburgischen Landesherren wenig darum scherten, sprangen die Orden ein – allen voran die Piaristen und natürlich die Jesuiten.[5]

Mit der Auflösung der Jesuiten 1773 war nun aber erneut ein Vakuum in der Bildungslandschaft entstanden.[6] Und die Lösung des Problems, das man schon mit der Gründung der Schulkommission 1770[7] in Angriff genommen hatte, wurde immer dringlicher, war doch bei der Seelenkonskription (erste Volkszählung) von 1770/71 augenscheinlich geworden, wie hoch der Anteil an Analphabeten unter den Untertanen der Kaiserin war.[8]  Nach der Schaffung der Schulkommission hatte es zunächst aber Uneinigkeit gegeben, auch einmal mehr zwischen Maria Theresia und ihrem Sohn und Mitregenten Kaiser Joseph II. 1774 sprach die Monarchin allerdings ein Machtwort – und berief den für die kommende Reform entscheidenden Mann nach Wien, den Abt des Chorherrnstifts Sagen Johann Ignaz von Felbiger.[9] Um ihn aus Schlesien nach Wien berufen zu können, musste sie allerdings erst ausgerechnet Friedrich II. von Preußen darum ersuchen – zum Glück herrschte gerade Frieden zwischen den beiden.[10] Felbiger, ein Mann von großem Wissen und großer Erfahrung löste das Problem rasch. Noch vor Ende des Jahres hatte er die umfangreiche Schulordnung ausgearbeitet, so dass sie am 6. Dezember 1774 tatsächlich erlassen werden konnte.[11]

Darin wird der Ausbau der Schulen ebenso geregelt wir der zu unterrichtende Stoff und die Ausbildung und Überprüfung von Lehrern. In jeder Provinz wurde eine Schulkommission bestellt. Die Schultypen wurden mit Normalschulen, Hauptschulen und Trivialschulen festgelegt. Wobei die Normalschulen quasi die Normen für alle anderen vorzugeben und auch als Lehrerbildungsanstalt zu fungieren hatten. Die Trivialschulen sollten insbesondere das „Trivium“ von Lesen, Schreiben und Rechnen vermitteln und in größeren Städten sollte es darüber hinaus auch Hauptschulen geben.[12] Die Schulordnung regelte aber auch, wie die Schulgebäude angelegt werden sollten, sodass jeweils nur ein Lehrer einen Gegenstand in einer Klasse unterrichtete und welche Bücher zu verwenden waren. Im Anhang fanden sich sogar regelrechte Stundenpläne, nach denen vorzugehen war.[13]

Eines der vordinglichsten Probleme, die es zu lösen galt, war allerdings nicht nur der Mangel an Schulen an sich – es gab schon einige in Stadt und Land – aber die Kinder vor allem der Landbevölkerung wurden einfach nicht hingeschickt, weil sie dann vor allem in der Landwirtschaft als Arbeitskräfte fehlten.[14] Daher war ein zentraler Teil der Schulordnung von 1774 die Verpflichtung aller Kinder – Knaben wie Mädchen - die Schulen zu besuchen. Den Eltern und Vormündern wurde ausdrücklich die Verpflichtung auferlegt, die Kinder auch tatschlich in die Schulen zu schicken. Denjenigen Kindern, die im Dienst waren, musste zumindest der Besuch der Winterschule – entweder Vormittags oder Nachmittags ermöglicht werden.[15]

Außerdem wurden strenge Kontrollen eingeführt. Auch die Lehrer hatten sich Prüfungen zu unterziehen und so waren viele Lehrer und Pfarrer mit der Schulreform gar nicht glücklich, sollten sie sich doch nun bei gleicher Bezahlung an weit strengere Vorschriften halten.[16] Felbiger verfasste neben der Schulordnung daher auch noch ein „Methodenbuch“ für Lehrer, das im Wesentlichen bis ins 19. Jahrhundert zentraler Bestandteil der Lehrerausbildung blieb. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die Lehrer davon nur unzureichend gebraucht machten und Felbiger kürzte es daraufhin und gab 1777 ein handliches Kompendium – den „Kern des Methodenbuchs“ heraus.[17]

Sehr beliebt war die Reform aber nicht. Viele Untertanen waren gar nicht davon angetan, dass nun Schulpflicht herrschte, und die Kinder, die sie als Arbeitskräfte gebraucht hätten, nun nicht zur Verfügung standen, ja die Eltern sogar im Gegenteil noch Schulgeld zahlen mussten.[18] Die höheren Herrschaften übten ebenfalls Kritik, sie wollten nicht einsehen, was mit der Schulpflicht erreicht werden sollten und fürchteten eher, dass mit der „Aufklärung der Landleute“ diese nicht mehr auf ihrem angestammten – niedrigen - Platz in der Gesellschaft verbleiben würden.[19]

Wobei das Wort Schulpflicht, das nun schon recht häufig benutzt wurde – eigentlich irreführend ist – denn eine tatsächliche Schulpflicht wurde weder durch Maria Theresia eingeführt - noch gibt es sie heute!

Im Paragraph 12 der Maria-Theresianischen Schulordnung heißt es nämlich auf die Frage: „Wer zum Schulgehen verbunden seyn solle.“ „Kinder beiderley Geschlechts, deren Eltern oder Vormünder in Städten eigene Hauslehrer zu unterhalten nicht den Willen oder das Vermögen haben, gehören ohne Ausnahme in die Schule, und zwar sobald sie das 6te Jahr angetreten haben, von welchem an sie, bis zu vollständiger Erlernung der für ihren künftigen Stand, und Lebensart erforderlichen Gegenstände die deutschen Schulen besuchen müssen: Welches sie wohl schwerlich vor dem 12ten Jahre ihres Lebens, wenn sie im 6ten, oder nach dem 6ten angefangen haben, gründlich werden vollbringen können; daher wir denn gern sähen, daß Eltern ihre Kinder wenigstens durch 6. oder 7. Jahre in den deutschen Schulen ließen.[20] Und noch heute findet sich im Paragraph 11 des Schulpflichtgesetzes der folgende Absatz: „Die allgemeine Schulpflicht kann ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen die Polytechnische Schule – mindestens gleichwertig ist.“[21] Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte….

 

Bildnachweis:

Joseph Ducreux, Honoré Thomas Bligny (Verleger), Louis Jacques Cathelin (Künstler), Maria Theresia, Regentin (1717-1780), 1774, Wien Museum Inv.-Nr. 218404, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/376363/)

Johann Ignaz von Felbiger; 1724-1788; Pädagoge, Lehrer, Theologe; Alte Signatur: Graph. Slg. II.f.14; Kasten 22; Download: https://heidicon.ub.uni-heidelberg.de/detail/549777

 

Quellen und weitere Infos:

 

Reinhard Buchberger/Nina Linke, Von den Tafelkratzern des Mittelalters bis zu den Tintenpatzern des Fin de Siecle. In: Reinhard Buchberger/Michaela Feurstein-Prasser/Felicitas Heimann-Jelinek/Nina Linke, Tafelkratzer, Tintenpatzer, Schulgeschichten aus Wien, Wien 2016, S. 38-68.

Barbara Stollberg-Rilinger, Maria Theresia. die Kaiserin in ihrer Zeit, Eine Biographie, München 2017.

Allgemeine Schulordnung, für die deutschen Normal-Haupt- und Trivialschulen in sämmtlichen Kaiserl. Königl. Erbländern d.d. Wien, den 6ten December 1774. http://data.onb.ac.at/rec/AC10303338

Bundesgesetz über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985); StF: BGBl. Nr. 76/1985 (WV); https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009576.

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Allgemeine_Schulordnung_(1774)



[1] Stollberg-Rilinger, S. 706f.


[2] Stollberg-Rilinger, S. 715.


[3] Buchinger/Linke S. 43.


[4] Buchinger/Linke, S. 40.


[5] Buchinger/Linke, S. 41ff.


[6] Stollberg-Rilinger, S. 708.


[7] Buchinger/Linke, S. 46.


[8] Stollberg-Rilinger, S. 708.


[9] Buchinger/Linke, S. 46.


[10] Stollberg-Riliniger, S. 708.


[11] Buchinger/Linke, S. 46.


[12] Buchinger/ Linke S. 40 und 52.


[13] Schulordnung 1774.


[14] Stollberg-Rilinger, 708.


[15] Schulordnung, S. 23.


[16] Stollberg-Rilinger, S. 711.


[17] Buchinger/Linke, S. 47.


[18] Stollberg-Rilinger, S. 711.


[19] Stollberg-Rilinger, S. 711.


[20] Schulordnung, S. 21.


[21] Schulpflichtgesetz 1985.