Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – Danke, Salomon Kleiner!

Wien erlebte nach 1683 einen unbeschreiblichen Bauboom. Nachdem die Bedrohung durch die Osmanischen Heere abgewendet war, begann die kaiserliche Residenz, sich von einer mittelalterlichen Stadt in eine glänzende Barockmetropole zu verwandeln. Dazu trugen nicht nur die nun neu errichteten Paläste des Adels bei, der sich neue prunkvolle Wohnstätten in der Nähe des Kaiserhofes errichtete, sondern auch ein aufstrebendes und zunehmend selbstbewussteres Bürgertum, das den hohen und allerhöchsten Herrschaften nacheiferte.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte Wien sein Gesicht bereits massiv gewandelt. Dass wir uns noch heute ein ausgesprochen lebhaftes Bild von dieser zum Teil längst verschwundenen Stadt machen können, verdanken wir einem aus Augsburg stammenden Zeichner und Kupferstecher. Salomon Kleiner wurde im Jahre 1700 in Augsburg geboren, sein Vater war Notar, die Mutter starb schon bald nach seiner Geburt. Wir wissen wenig über seine Kindheit und Jugend, lediglich dass er bei dem Augsburger Kupferstecher Corvinus seine Ausbildung erhielt und dass er sich schon früh für Architektur begeisterte. Seit 1721 finden wir ihn in Wien. (Prange, S. 8ff.) Kleiner arbeitete aber auch für die Familie Schönborn und erstellte Ansichten für seine Heimatstadt Augsburg.

Neben seinem für uns heute so wichtigen vierteiligen Stichwerk im Auftrag des Augsburger Verlegers Pfeffel versuchte Kleiner sich auch selbst als Verleger. Mit dem Kupferstecher Jeremias Jacob Sedelmayr wollte er 1735 ein mehrbändiges Werk über die Hofbibliothek herausgeben. Doch das Vorhaben wird zum Fiasko. Der angekündigte zweite und dritte Teil erscheinen niemals und wohl aufgrund mangelnder Unterstützung von Seiten des Hofes wird das Projekt auch finanziell ein Debakel. Für uns allerdings sind auch diese Stiche heute eine unschätzbare Quelle, denn Kleiners Bilder sind die einzigen, die die Hofbibliothek im Originalzustand zeigen, bevor das Raumkonzept zur Sicherung des Bauwerks von Pacassi verändert werden musste. (Prange, S. 16f. und 164ff.)

In der Folge nahm er wieder Aufträge an. 1743 wurde er vom Stift Göttweig mit einer Stichserie beauftragt und er fertigte nicht weniger als 164 Tafeln für ein monumentales Geschichtswerk. Kleiner trat nun auch immer öfter nur als Kupferstecher in Erscheinung, d.h. er fertigte die Arbeiten nach fremden Vorlagen. Ab den 1750er Jahren scheint er aber nur noch wenige Aufträge erhalten zu haben, denn die Zeit der großen Kupferstichwerke war vorbei. (Prange, S. 20) Nun musste Salomon Kleiner sich anders über Wasser halten. Er schlug sich als Zeichenlehrer an der K.K. Ingenieur-Schule durch und blieb dort bis zu seinem Tod. Am 25. März 1761 starb Kleiner in der Josefstadt. (Prange, S. 20f.)

Für uns hat Salomon Kleiner einen unfassbaren Schatz hinterlassen. Vor allem mit den vier Bänden zu je 33 Bildern seiner „Wahrhafften und genauen Abbildung“ liefert er uns Einblicke, die weit über die reine Architekturgeschichte hinausgehen. Zwar sind seine zwischen 1724 und 1737 erschienenen Blätter als Fortsetzung eines 1715 aus der Hand Johann Bernhard Fischer von Erlachs beim gleichen Verleger erschienenen Ansichtswerks zu verstehen, doch gehen sie weit darüber hinaus. Die Unterschiede erschöpfen sich dabei nicht in der bei Kleiner weit realistischer gezeigten Stadtansicht. Zeichnete Fischer die wichtigen Gebäude der Stadt noch in Frontalansicht und erweiterte die tatsächlich oft schmalen Gassen künstlich, um eine bessere und vor allem repräsentativere Optik zu erreichen, nahm Kleiner dagegen meist einen realistischen Standpunkt ein und zeigte nicht nur einzelne Gebäude, sondern ganze Straßenzüge. Während die ersten beiden Bände noch vor allem auf die Kirchen und adeligen Paläste zugeschnitten waren, gingen der dritte und vierte Teil vor allem auf das „vermehrte und florierende Wien“ ein. Im Zentrum der Darstellung standen also nicht mehr einzelne vornehme Gebäude, sondern eine prosperierende Stadt an sich. (Prange S. 58ff.) Das wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass sich in den 132 Stichen aller vier Bände keine einzige Innenansicht befindet. Salomon Kleiner ging es darum, die gewachsene Struktur der Stadt darzustellen. (Herget, S. 294.)

Auch in der Darstellung des Straßenlebens geht Kleiner eigene Wege. Seine Figuren sind nicht bloß Staffage, sondern lebendiges Abbild des Alltagslebens. Eine Ursache dafür mag sein, dass er aus der freien Reichsstadt Augsburg stammte. Die Reichsstädte – also Städte die keinen Stadtherren hatten, sondern direkt dem Kaiser unterstanden - hatten schon im 17. Jahrhundert ein ganz besonderes bürgerliches und städtisches Selbstbewusstsein ausgeprägt und dieses auch in den Kupferstichwerken gezeigt.

Kleiner beleuchtet verschiedenste Facetten des Alltagslebens. Immer wieder finden sich in den Stichen daher auch religiöse Prozessionen. Das ist weniger persönlicher Frömmigkeit geschuldet, als dem Umstand, dass man in Wien tatsächlich ständig irgendwelchen Umzügen und Prozessionen begegnen konnte. (Prange, S. 62.) Auch Messen wurden fast ununterbrochen gefeiert. So wissen wir, dass etwa allein im Stephansdom im Jahre 1732 54.558 (!) Messen gelesen wurden. Dazu kamen noch Pontifikalämter und Rosenkränze. (Hasmann, S. 9) Rechnet man das durch, kommt man auf die unglaubliche Zahl von 149,5 Messen pro Tag – an jedem der zahlreichen Altäre wurden täglich gleich mehrere Messen zelebriert.

Doch zurück zu Salomon Kleiner. Sein wacher Blick zeigt uns nicht nur die prachtvolle Architektur, sondern liebevoll und oft auch mit einem Augenzwinkern winzige Details. So lässt uns etwa seine Ansicht der Brandstätte aus dem vierten Teil der Wahrhafften und genauen Abbildung nicht nur heute längst verschwundene Gebäude erblicken, sondern zeigt uns die Händler und einkaufenden Damen, patrouillierende Wachen, streunende Hunde aber auch ganz offen den auf der Straße liegenden Unrat - und in der vorderen Ecke steht ein Mann an einer Hausmauer, der eben nicht nur die Fenster betrachtet.

Dergleichen derbe wie aber auch offenbar alltägliche Szenen zeigt Kleiner nicht nur im Zusammenhang mit bürgerlicher Architektur, sondern durchaus auch vor höchst repräsentativen Bauwerken. Denn auch an der Mauer vor dem Palais Schwarzenberg verrichten zwei Männer offenbar ihre Notdurft und im Vordergrund geht ein Gassenjunge einen Höfling um Geld an, während auf der Straße eine Ziegenherde wohl zum Markt getrieben wird. An der Wand der Böhmischen Hofkanzlei wiederum lehnt ein Bettler und davor balgen sich ein paar Buben, streng ermahnt von einem feinen Herrn. Auch das enorme Verkehrsaufkommen wird sichtbar, denn ein Kutschenunfall kann hier offenbar nur in letzter Sekunde abgewendet werden. Eine solche Darstellung im Zusammenhang mit adeligen Bauwerken, wäre etwa bei Fischer von Erlach noch nicht möglich gewesen. (Prange, S. 62ff.)

Für uns öffnet Salomon Kleiner damit aber einen unschätzbar wertvollen Spalt in der Tür der Zeit und erlaubt uns ein wenig hindurch zu lugen – auf das pulsierende Leben in den Straßen des barocken Wien!

 

Bildnachweise:

Salomon Kleiner (Zeichner), Johann Andreas d. Ä. Pfeffel (Verleger), Johann Bernhard Hattinger (Kupferstecher), "Prospect auf der Brandstatt" (Brandstätte/Jasomirgottgasse), aus: Wahrhafte und genaue Abbildung (...), 4. Teil, Abb. 5 , 1737, Wien Museum Inv.-Nr. 105765/111, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/181486/)

 

Salomon Kleiner (Zeichner), Johann August Corvinus (Kupferstecher), Johann Andreas d. Ä. Pfeffel (Verleger), "Prospect des Rennwegs vor dem Karntner Thor" (Rennweg), aus: Wahrhafte und genaue Abbildung (...), 4. Teil, Abb. 32, 1737, Wien Museum Inv.-Nr. 105765/138, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/181547/)

 

Salomon Kleiner (Zeichner), Johann Andreas d. Ä. Pfeffel (Verleger), "Die Kirchen zum H. Creutz, so jetzo die P. P. Minoriten besitzen" (Minoritenkirche), aus: Wahrhafte und genaue Abbildung (...), 1. Teil, Abb. 7, 1724, Wien Museum Inv.-Nr. 31112, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/59231/)

 

Salomon Kleiner (Zeichner), Johann August Corvinus (Kupferstecher), Johann Andreas d. Ä. Pfeffel (Verleger), "Prospect der Königl. Böhmischen Cantzley in der Wipplinger-Strassen (Böhmische Hofkanzlei), aus: Wahrhafte und genaue Abbildung (…), 2. Teil, Abb. 26 , 1725, Wien Museum Inv.-Nr. 14841, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/79126/)

 

Quellen und Infos:

Gabriele Hasmann, Der Stephansdom, Berndorf 2016.

Elisabeth Herget, Nachwort. In: Salomon Kleiner, Das florierende Wien, Vedutenwerk in vier Teilen aus den Jahren 1724-1737, Dortmund 1979.

Peter Prange, Salomon Kleiner, 1700-1761, zum 300. Geburtstag, Ausstellungskatalog, Salzburg 2000.

https://de.wikipedia.org/wiki/Salomon_Kleiner

https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Emanuel_Fischer_von_Erlach