Nicht ganz patent – Franz Josephs Februarpatent

Das Wort Patent erlebte im Laufe der Jahrhunderte einen tiefgreifenden Wandel. In früheren Jahrhunderten[1] bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurde es vor allem für „obrigkeitliche Befehle“ oder offene, ebenfalls obrigkeitliche Schreiben, durch die einem gewissen Personenkreis bestimmte Vorrechte eingeräumt werden, benutzt, was sich durch die Übersetzung vom lateinischen „litterae patentes“ für „offene Briefe“ ableitet. Eine Verwendung für Patente im Sinne des Schutzes von Erfindungen, wie sie heute üblich ist, wird etwa in  der  Oekonomischen Encyklopädie von J. G. Krünitz noch 1809 als etwas eher exotisches angesehen, wobei etwa: „in England und in einigen andern Ländern dem Verfertiger der Alleinhandel durch ein Patent zugesichert wird.“[2] Dementsprechend spricht der erste Vorläufer einer echten Patentgesetzgebung in Österreich 1810 auch noch von „Privilegien“.

Die Bezeichnung der am 26. Februar 1861 erlassenen Verfassung für das österreichische Kaiserreich als „Februarpatent“ ist in ihrer Rückwärtsgewandtheit daher tatsächlich bezeichnend für den Geist sowohl dieser als auch aller anderen österreichischen Verfassungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die im Gesamten betrachtet allein dazu dienten, dem Kaiser nach der bürgerlichen Revolution 1848 die alten, gottgewollten Rechte einer absolutistischen Machtfülle zurückzugeben.

Denn diese Revolution hatte zwar das System Metternich hinweggefegt, doch sie vermochte es noch nicht, Österreich im Sinne demokratischer Mitbestimmung umzugestalten. Schon 1851 kehrte Franz Joseph mit dem sogenannten Silvesterpatent zum vorrevolutionären Absolutismus zurück.[3] Doch in der Mitte des 19. Jahrhunderts war Franz Joseph noch keineswegs der geliebte Volkskaiser, als der er zum Ende seiner Regierungszeit oft erschien. 1853 etwa verfehlte ein Attentat auf den Kaiser nur knapp das Ziel. Der steife, verstärkte Kragen lenkte das Messer ab, das den erst 23-jährigen Kaiser hätte vom Leben zum Tode befördern sollen. Seine Hochzeit mit der bildschönen Elisabeth im Jahr darauf gab den Volksmassen für kurze Zeit Anlass zu euphorischer Stimmung, doch spätestens 1859 mit den verheerenden Niederlagen von Magenta und Solferino, drohte die Stimmung erneut zu kippen zumal das in der beginnenden Ringstraßenära zunehmend erstarkende Bürgertum ein gesteigertes Selbstbewusstsein und die vielen Nationen immer stärkere Fliehkräfte entwickelten.  

Franz Joseph war genötigt, Maßnahmen zu ergreifen. Im März 1860 wurde der „Verstärkte Reichsrat“ geschaffen, in den zusätzlich zu den vom Kaiser berufenen Mitgliedern 38 Vertreter der Landtage einziehen sollten. Der Reichsrat blieb allerdings das was sein Name andeutet – ein Beratungsorgan. Erst im Sommer desselben Jahres erfolgte eine Aufwertung indem der Reichsrat nun in einigen wenigen Bereichen mitbeschließende Kompetenz erhielt.[4] Im Oktober 1860 schließlich sollte das sogenannte Oktoberdiplom folgen. Obwohl es im Grundsatz ein Verfassungsgesetz darstellt, vermied man diese Bezeichnung freilich weitgehend. Es blieb dem monarchischen Absolutismus treu. Nach der Einleitung „Wir Franz Joseph der Erste, von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich“ und einer Aufzählung aller Titel beruft man sich zuallererst auf die pragmatische Sanktion von 1713.[5] Der Reichsrat behielt mitbeschließende Kompetenz ausschließlich in Finanzfragen, einige andere Kompetenzen gingen an die Landtage. Damit wurde eine föderalistische Gestaltung der Landtage versucht.[6]

Das für unwiderruflich erklärte Oktoberdiplom hielt allerdings nur wenige Monate, weder die Landtage noch der Reichsrat traten zusammen[7]. Das darauf folgende Februarpatent musste aus formaljuristischen Gründen als Ausführungsbestimmung des Oktoberdiploms bezeichnet werden.[8]

Nun kam es zu einer tatsächlichen Umwandlung des Reichsrates in ein Parlament, auch wenn dieses nach wie vor nur sehr eingeschränkte Befugnisse hatte. Zum Herrenhaus kam nun das Abgeordnetenhaus aus 343 Mitgliedern.[9] Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses wurden von den Landtagen gewählt. Diese wiederum wurden zwar ebenfalls gewählt, durch den Wahlzensus[10], war allerdings nur ein sehr geringer Teil der – natürlich nur männlichen – Bevölkerung wahlberechtigt.[11] Außerdem wurde im Februarpatent ein letztes Mal der Versuch einer Lösung für die gesamte Monarchie, einschließlich Ungarns unternommen. Im „weiteren Reichsrat“ sollten demnach gemeinsam mit den Vertretern Ungarns die Angelegenheiten des Gesamtreiches beraten werden, während ein „engerer Reichsrat“ für die Österreichischen Länder und ein aufgewerteter ungarischer Landtag für die Länder der Stephanskrone zuständig sein sollte.

Gültig war allerdings auch das Februarpatent nur für kurze Zeit.  Ohne je wirksam geworden zu sein,[12] wurde es 1856 aufgrund des massiven Widerstands von Tschechen und Ungarn[13] durch das „Sistierungspatent“ außer Kraft gesetzt.[14] 1867 folgte mit dem Ausgleich mit Ungarn die sogenannte Dezemberverfassung.

Das Dokument selbst erlebte ebenfalls eine wechselvolle Geschichte. Es wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt entwendet und erst 2014 wurde die Urschrift zufällig in einem Antiquariat wiederentdeckt.[15]

 

 

Bildnachweis:

Vinzenz Katzler (Lithograf), Reiffenstein & Rösch (Drucker), "GEDENKBLATT an die von S.k.k.ap. Majestät FRANZ JOSEPH I. / Seinen Völkern verliehenden Reichsverfassung. / 1861",, 1861, Sammlung Wien Museum, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/41559/)

 

Quellen und weitere Infos:

 Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien  in 5 Bänden, Band 2 / De-Gy, Wien 2004.

Rudolf Hoke, Österreichische und Deutsche Rechts-Geschichte, Wien/Köln/Weimar 1992.

Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, Band 108, Berlin 1809.

Karl Vocleka, Geschichte Österreichs. Kultur – Gesellschaft – Politik, Wien/Graz/Köln 2002.

Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Geschichte Österreichs, Stuttgart 2015/2016.

Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Band 26, Leipzig 1731-1754.

https://www.parlament.gv.at/PERK/HIS/MON/1860-61/index.shtml

https://de.wikipedia.org/wiki/Februarpatent

https://de.wikipedia.org/wiki/Oktoberdiplom

https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=rgb&datum=1861&page=99&size=45

https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=rgb&datum=18600004&seite=00000336

https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=rgb&datum=1865&page=335&size=45

https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/41559-gedenkblatt-an-die-von-skkap-majestaet-franz-joseph-i-seinen-voelkern-verliehenden-reichsverfassung-1861/

https://www.derstandard.at/story/1395363760805/urschrift-des-februarpatents-von-1861-sichergestellt



[1] Zedler, Bd. 26, Sp. 1280.

[2] Krünitz, Band 108, S. 118.

[3] Winkelbauer, S. 406.
[4] Hoke, S. 367.
[5] Kaiserliches Diplom vom 20. October 1860, zur Regelung der inneren staatsrechtlichen Verhältnisse der Monarchie, RGBl. Nr. 226 / 1860.
[6] Hoke, S. 368f.
[7] Hoke, S. 370.
[8] Vocelka, S. 212f
9] Hoke, S. 370.
[10] Das Wahlrecht war an die Steuerleistung gekoppelt.
[11] https://www.parlament.gv.at/PERK/HIS/MON/1860-61/index.shtml [12] Czeike, S. 265.
[13] Winkelbauer 409f.
[14] https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=rgb&datum=1865&page=335&size=45 
[15] www.derstandard.at, 31. März 2014.