Sechs Monate zu spät geboren

In den frühen Morgenstunden des 13. März 1741 muss der Jubel in Wien unbeschreiblich gewesen sein. Das Wienerische Diarium, also die heutige Wiener Zeitung, bringt gleich in der nächsten Ausgabe einen ausführlichen Bericht.

„Heute in der fruhe zwischen 2. und 3. Uhr seynd Ihre Majestät die Königin zu Hungarn und Böheim Erz=Herzogin zu Oesterreich/unsere Allergnädigste Landes=Fürstin / und Frau / eines schön= und wolgestalten Erz=Herzogen und unausprechlicher Freude Allerhöchster Herrschaften / wie auch um höchsten Trost alhiesiger Inwohner / und gesamter Königl. Erb=Königreichen/ und Landen glüklichst entbunden worden; von welcher glüklichen Entbindung alsogleich der Ruf mithin ein immerwährendes Jubel=Geschrey durch alle Gassen noch bey eitler Nacht erschollen.“

Der Bericht erläutert weiter, dass auch den ausländischen Höfen sofort per Boten die Nachricht von der glücklichen Entbindung dieses so heiß ersehnten Knaben übermittelt worden war. (Wienerisches Diarium Nr. 21, 15. März 1741) Man wollte keine Zeit verlieren, denn diese Geburt war nicht nur für die Familie selbst von enormer Bedeutung, sondern für die gesamte europäische Politik – schließlich war er in diesem Moment der einzige männliche Nachkomme dieser altehrwürdigen Dynastie.

Die Erbfolge des Hauses Habsburg hatte seit dem Mittelalter immer wieder am seidenen Faden gehangen. Entweder wurden keine männliche Nachkommen geboren, nur wenige oder die enorme Kindersterblichkeit raffte sie hinweg.  

Am Anfang des 18. Jahrhunderts war es dann tatsächlich so weit und beide Linien des Hauses Habsburg erloschen innerhalb von nur vier Jahrzehnten im Mannesstamm. Durch mehrere Todesfälle begann sich das Karussell der Geschichte immer schneller um das alt-ehrwürdige Haus Habsburg zu drehen, bis schließlich alle Hoffnungen der Familie nur noch auf einer jungen Frau ruhten – der gerade 23-jährigen Maria Theresia.

Doch das unendlich komplizierte Verwandtschaftsgeflecht der europäischen Adelshäuser führte dazu, dass die Nachfolge sowohl in Spanien also auch in den österreichischen Ländern heiß umkämpft war und die blutigen Kriege in der Folge nicht nur die europäischen Länder sondern im Siebenjährigen Krieg sogar Länder in Nordamerika, Indien oder der Karibik erfassten.

Die spanische Linie des Hauses Habsburg, einst von Kaiser Karl V, in dessen Reich die Sonne nie unterging, begründet, starb mit dem Tod Karls II. am 1. November 1700 aus. Allein schon beim Versuch, die Verwandtschaftsverhältnisse zu klären, die zu den folgenden Kämpfen um die Nachfolge führten, könnte man schwindelig werden.

Der letzte spanische König aus dem Hause Habsburg war Karl II. Sein Großneffe aus der österreichischen Linie, der verwirrenderweise ebenfalls Karl hieß und der spätere Kaiser Karl VI werden sollte, wollte ihm nachfolgen. Die Großmutter des österreichischen Karl, Maria Anna, war die Tante des letzten spanischen Karl gewesen. Doch nun machte dem österreichischen Karl sein französischer Verwandter Philipp von Anjou die Thronfolge streitig. Philipp war zwar zwei Jahre älter, aber eine Generation jünger. Philipps Ur-Großmutter Anna war die ältere Tante des spanischen Karl II. und Schwester der oben genannten Maria Anna, also der Großmutter des österreichischen Karl,  gewesen. Zusätzlich war aber auch Philipps Großmutter noch eine Schwester des spanischen Karl II gewesen. Das heißt nichts anderes, als dass Philipps Großvater, der berühmte Ludwig XIV, seine direkte Cousine geheiratet hatte. Der Vater des österreichischen Karl hatte das in erster Ehe zwar ebenfalls getan, aber aus dieser Verbindung entstammte kein überlebender Sohn.

Man könnte also tatsächlich schwindelig werden – und die Tatsache dass der mögliche Erbe des spanischen Königtums aus dem Haus Bourbon mit den spanischen Habsburgern ebenso verwandt war, wie das die österreichischen Habsburger waren, tat ja beinahe nichts zur Sache, wenn nicht wenige Jahre nach dem Tod des letzten spanischen Habsburgers auch der Tod eines österreichischen Prinzen das Nachfolgekarussell erneut in Gang gebracht hätte.

Denn der Bruder des österreichischen Karl, die große Zukunftshoffnung des Hauses Habsburg, starb im April 1711 und Karl musste dem Traum von der spanischen Krone endgültig Adieu sagen, um das Erbe in den österreichischen Ländern anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt machte sich noch kaum jemand ernste Sorgen um die Nachfolge hier, denn Karl war jung, gerade einmal 26 Jahre alt und seit drei Jahren mit der gleichaltrigen Elisabeth Christine verheiratet. Doch das Schicksal wollte es, dass auch in dieser Ehe nur ein Sohn geboren wurde, der aber noch als Säugling verstarb.

Nun ruhte alle Hoffnung auf Karls ältester Tochter Maria Theresia, sie heiratete 1736 den lothringischen Herzog Franz Stephan. Die rasche Geburt eines Sohnes wäre die Lösung des Problems gewesen. Maria Theresia, die ja bekanntlich ausgesprochen fruchtbar war, wurde auch rasch schwanger. Fast genau ein Jahr nach der Heirat kam das erste Kind zur Welt, doch es war eine Tochter. Zwei weitere Mädchen folgten bis zum Jahresanfang 1740. Als ihr Vater Kaiser Karl VI im Herbst 1740 recht plötzlich starb, zeigte sich, dass die Pragmatische Sanktion um die Karl VI so hart gerungen hatte, letztlich nicht das Papier wert war, auf dem sie stand.

Der Kaiser war noch in der Ritterstube der Hofburg prunkvoll aufgebahrt, als schon die ersten Unruhen in der Umgebung Wiens ausbrachen, denn auch ein Teil der Bevölkerung konnte sich nicht mit einer Frau als Herrscherin abfinden. Die Nachfolge auf dem Kaiserthron stand ohnehin nicht zur Debatte, Karl VI hatte sich schlicht nicht darum gekümmert, seinen Schwiegersohn als Nachfolger zum Römischen König wählen zu lassen. Doch das riesige und völlig inhomogene Territorium das man ohne echten eigenen Namen als habsburgische Erblande bezeichnen könnte, sollte Maria Theresia übernehmen. Das Jahr 1740 war zudem noch von schlechten Ernten und einer drastischen Verteuerung der Lebensmittel geprägt. (Stollberg-Rilinger, S. 66ff)

Doch die unruhigen Untertanen sollten bald das kleinste Problem sein, denn die europäischen Mächte begannen bereits um das Erbe zu kreisen wie die Geier.

Bayern meldete Ansprüche an, da Karl Albrecht mit einer Tochter Josephs I., also Maria Theresias Cousine, verheiratet war und der König von Preußen, Friedrich II, hielt sich nicht mit langen Vorreden auf, sondern marschierte im Dezember kurzerhand in Schlesien, einem der reichsten Teile der Habsburgischen Länder, ein. In der Folge formierte sich eine Koalition gegen Maria Theresia und der Österreichische Erbfolgekrieg nahm seinen Lauf. (Stollberg-Rilinger, S. 76ff.)

Während all dieser Ereignisse war Maria Theresia erneut schwanger und hoffte wohl verzweifelt auf die Geburt eines Sohnes.

Tatsächlich brachte Josephs Geburt für Maria Theresia eine spürbare Erleichterung, zumindest in der Bevölkerung. Allerorts wurden Spruchbänder angebracht, eines davon trug die Aufschrift „Nun können die Feinde losen, denn Österreich tragt Hosen“. (Gäffer, S. 352) Man ging also davon aus, dass die Feinde nun aufhorchen, also „losen“ würden, da endlich ein Prinz geboren worden war. Diese Hoffnung erfüllte sich zwar nicht militärisch, aber die Geburt Josephs war für seine Mutter dennoch von enormer, nicht nur persönlicher, sondern auch politischer Bedeutung.

Sie setzte Joseph daher auch in der Folge gezielt ein, um ihre politische Position zu stärken. Berühmt ist die Szene vor den ungarischen Ständen, denen sie bei ihrer flehentlichen Bitte um Unterstützung gegen ihre Feinde den Säugling entgegenstreckt, was die Magnaten mit Begeisterung und tatsächlich gewährter Hilfe beantworten. Auch wenn sich diese Szene vielleicht nicht ganz so dramatisch abgespielt hat, wie sie oftmals geschildert wird, zeigt sie doch welche enorme Bedeutung das schlichte Vorhandensein eines Sohnes für die politischen Möglichkeiten seiner Mutter bedeutete. (Mazohl, S. 297)

Kurz gesagt, hingen im 18. Jahrhundert Wohl und Wehe ganzer Völker und die Entscheidung ob Krieg oder Frieden herrschte noch allzu oft vom Vorhandensein einer geregelten, gesicherten Thronfolge – also vom Vorhandensein eines Sohnes ab.

Es sollte übrigens auch Joseph selbst nicht vergönnt sein, die ständig prekäre Nachfolgesituation zu lösen. In seiner ersten Ehe mit der von ihm vergötterten Isabella von Parma wurden nur zwei Töchter geboren, die beide nicht das Erwachsenenalter erreichten. Zu allem Überfluss war er damit nicht der einzige. Von den 16 Kindern Maria Theresias waren nur fünf Buben. Und von diesen hatten wiederum nur zwei überlebende männliche Nachkommen. Erst in der nächsten Generation, durch Josephs Bruder und Nachfolger Leopold II war die Nachkommenschaft der nunmehr Habsburg-Lothringen genannten Familie gesichert. Denn er hatte aus seiner Ehe mit Maria Ludovica nicht nur ebenfalls 16 Kinder, sondern zehn überlebende Söhne, von denen wiederum sechs eigene Linien begründeten. Joseph II nannte seinen Bruder daher nicht ohne Ironie einen „trefflichen Bevölkerer“ (Mutschlechner, S. 109) und tatsächlich bestand seit dem späten 18. Jahrhundert nie wieder die Gefahr eines Aussterbens der Familie. Am Ende der Monarchie lebten immerhin 32 Erzherzöge und 54 Erzherzoginnen. (Vocelka/Heller, S. 20f.)

 

Quellen und Infos:

Franz Gäffer, Josephinische Curiosa, Wien 1848.

Brigitte Hamann, Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon, Wien 1988.

Brigitte Mazohl, Vom Tod Karls VI bis zum Wiener Kongress (1740-1815). In: Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Geschichte Österreichs, Stuttgart 2015/1206.

Martin Mutschlechner, Schloss Schönbrunn. Die geheime Geschichte von Österreichs Kulturdenkmälern, Wien/Graz/Klagenfurt 2012.

Barbara Stollberg-Rilinger, Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit, München 2017.

Karl Vocelka/Lynne Heller, Die private Welt der Habsburger. Leben und Alltag einer Familie, Graz/Wien/Köln 1998.

Wienerisches Diarium Nr. 21, 15. März 1741

https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_II.

https://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Theresia#Nachkommen_Maria_Theresias

https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_V._(Spanien)

https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichischer_Erbfolgekrieg

https://de.wikipedia.org/wiki/Siebenj%C3%A4hriger_Krieg