Sturmpetition mit Kniefall – Unterwerfung als Druckmittel

Sturmpetitionen – also quasi „stürmische“ Ersuchen des Volkes an den Herrscher – gab es in Wien gleich mehrere. Bei der jüngsten im Jahre 1848 erzwangen die Bürger der Stadt die Rücknahme der „Oktroyierten Verfassung". Die beiden anderen „Sturmpetitionen“ waren den religiösen Konflikten im Zuge von Reformation und Gegenreformation geschuldet. 1619 wollten die mehrheitlich protestantischen Stände die Fortsetzung der Religionsfreiheit erzwingen und fast genau 40 Jahre davor, am 19. Juli 1579 überbrachten tausende Wiener Bürger eine solche „Sturmpetition“ mit der sie die Freigabe des „Evangeliums“, also des protestantischen Gottesdienstes für die Stadt erreichen wollten. (https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Sturmpetition)

Das 16. Jahrhundert war für Wien überhaupt eine turbulente Zeit gewesen. 1529 gipfelte die schon seit langem latente Gefahr von Seiten des expandierenden osmanischen Reiches in der sogenannte „ersten Türkenbelagerung“ und Luthers Thesen erschütterten 1517 die gesamte katholische Welt – und damit natürlich auch die Haupt- und Residenzstadt der erzkatholischen Habsburger -  in ihren Grundfesten.

Die Frage nach der „richtigen“ Religion entzweite dabei Herrscher und Volk. Schon ab den 1520er Jahren begann der evangelische Glaube in Wien zunehmend Fuß zu fassen. Der Jesuit Petrus Canisius bezeichnete Wien 1558 als „zweites Wittenberg“ und zehn Jahre später meinte der katholische Hofprediger Eisengrien, in Wien kaum mehr katholische Spuren vorzufinden. (Scheutz, S. 241)

Die Gründe dafür, dass Wien für den neuen Glauben einen derartig fruchtbaren Boden bildeten waren vielfältig. Es gab Missstände in der Seelsorge, da es zu wenige und zu große Pfarren gab. Durch die Universität waren stets genug Menschen in der Stadt, die den Willen und das Potential hatten, sich mit Neuem auseinanderzusetzen und nicht zuletzt gab es seit 1492 eine Druckerei in der Stadt. Darüber hinaus waren Ideen, die den protestantischen nicht unähnlich waren, schon zuvor in Wien populär geworden. 1509 etwa hatte der Komtur (Leiter) des Heiliggeistklosters gegen den Ablass gewettert und ein Zisterziensermönch wetterte in der Peterskirche gegen die Reliquienverehrung. Auch die hohe Geistlichkeit trat nicht von vorneherein vehement gegen Luther auf – Bischof Slatkonia etwa verlautbarte die Bannbulle des Papstes gegen Luther erst mit einem Jahr Verzögerung und auch dann nur unter dem Druck des Kaisers und der katholischen Fakultät. Zudem gestattete er 1521 einem gewissen Paulus Speratus, der zuvor vom Erzbischof aus Salzburg ausgewiesen worden war, die erste gesicherte Predigt protestantischen Inhalts im Stephansdom zu halten. (Vocelka, S. 313f.)

Auch die Linie der Habsburger war in den ersten Jahrzehnten nach Luthers Thesenanschlag nicht einheitlich. Hatte Ferdinand I. schon 1523 ein Mandat gegen alle lutherischen Schriften erlassen – das aber freilich nicht durgesetzt werden konnte – stand sein Sohn Maximilian II. den Protestanten weit offener gegenüber und gab noch 1754 die mündliche Erlaubnis zu einem öffentlichen evangelischen Gottesdienst. (Vocelka, S. 314ff.)

Am Beginn der Gegenreformation stand das Bestreben, die ja tatsächlich zahlreich vorhandenen Missstände der Katholischen Kirche zu beseitigen. Eine Visitation von 1528 brachte etwa Erstaunliches zutage: Im Schottenkloster waren nur sieben Mönche, der Abt hatte eine Mätresse, der Propst des Dorotheer-Klosters hatte gar eine Ehefrau und den Prior der Karmeliter sowie die Sonnen von St. Klara zeigte man wegen Unsittlichkeit an. (Vocelka, S. 319.) Die Türkenbelagerung ein Jahr danach zerstörte zudem zahlreiche Ordens- und Gotteshäuser vor allem in den Vorstädten und den umliegenden Orten.

Zu den frühen Maßnahmen der Gegenreformation zählten daher neben Reformen auch die Ansiedelung von Reformorden, so wurden etwa die Jesuiten 1551 nach Wien geholt.

Die relative religiöse Toleranz um die Mitte des 16. Jahrhunderts betraf aber nicht alle Untertanen gleichermaßen.

Dass sich im Jahre 1579 die Wiener Bürger an den Hof wandten, hatte seine Gründe daher nicht nur in der nun tatsächlich beginnenden Gegenreformation, sondern auch darin, dass die Bürger von den unter Maximilian II. ausgenommen gewesen waren. 1566 war des Maximilian gelungen den „vierten Stand“ also die Vertreter der Städte und Märkte im sogenannten Landtag von den „Herrenständen“ also den Adeligen zu trennen. Die Religionskonzession wurde 1568 daher nur den beiden Adelsständen gewährt. (Winkelbauer, S. 57)

Auch Erzherzog Ernst trachtete in seinen gegenreformatorischen Bemühungen danach, Bürger und Adel auf den Landtage zu spalten. Bestrebungen nach einer gemeinsamen protestantischen „Front“ machte er mit dem Verweis zunichte, dass der vierte Stande, also die Städte und Märkte, ausdrücklich von der Religionskonzession ausgenommen wären. Zudem strebte er auch nach einer Spaltung der Bürger indem den katholischen Bürgern Ämter und Würden zuteil wurden. Außerdem begann Erzherzog Ernst auf die Ratswahlen in Wien Einfluss zu nehmen. Nach der Stadtordnung von 1526 stand ihm ein Bestätigungsrecht zu und dieses nutze er ab 1577 dazu, nach und nach die zuvor noch dominierenden evangelischen Mitglieder des Inneren zu eliminieren. (Stögmann, S. 504f.) In der Folge kam es aber auch zwischen dem nun mehrheitlich katholischen Inneren Rat und dem protestantisch geprägten Äußeren Rat zu massiven Spannungen vor allem, wenn es um die Bestellung derjenigen Vertreter ging, die zum Landtag entsandt werden sollten. (Stögmann, S. 505 f)

Der Äußere Rat beschloss daher, dass man sich in politischen Dingen sehr wohl gehorsam verhalten wolle, nicht aber in Fragen der Religion. Man verlangte zudem, dass Bürgermeister und Innerer Rat die Forderung nach einer protestantischen Kirche oder einer sonstigen Möglichkeit, öffentlich einen protestantischen Gottesdienst besuchen zu können, überbringen sollen. Bürgermeister Hanns vom Thau weigerte sich allerdings, die Anliegen zu überbringen, worauf sich die Evangelischen versammelten um ihre Bittschrift direkt dem Statthalter Erzherzog Ernst zu übergeben.  Stattdessen wurde aber zuerst eine Petition verfasst, der sich auch die protestantischen Mitglieder des Äußeren Rats anschlossen. (Stögmann, S. 507f). Bittschriften wurden aber nicht nur an den Landesherren oder dessen Stellvertreter gerichtet, sondern auch an Teile der ständischen Vertretungskörper. Aus Anlass des Zusammentreten des Landtages im Frühling 1579 im Landhaus in der Herrengasse , kam es aber gleich zu mehreren Supplikationen (Bittschriften) der Bürger. Die Landtagsabgeordneten möchten sich, so heißt es dort, das jämmerliche Seufzen und Klagen derer zu Gemüte führen, die in Gefahr stehen, ihres höchsten Seelenschatzes, des heiligen Wortes Gottes und des hochwürdigen Sakramentes beraubt zu werden. (Jahrbuch, S. 82)

Im Juli wurde der Landtag wieder eröffnet. Die konfessionellen Spannungen waren in der Zwischenzeit nicht eben weniger geworden. Ein kaiserliches Dekret vom Juni hatte den Bürgern untersagt, sich mit religiösen Anliegen an die Abgeordneten der anderen Stände zu wenden. Da dies nicht eingehalten worden war erfolgte ein weiteres Dekret, diesmal an den Bürgermeister und den Inneren Rath gerichtet, wonach diese den Äußeren Rat und alle Bürger entsprechend zur Rede zu stellen hätten. Die Vertreter des Äußeren Rates wurden daher am 16. Juli vor den Inneren Rat zitiert. Nun erschien aber auch noch eine namhafte Abordnung der Gemein, also der Bürgerschaft, die eine Bittschrift an den Äußeren Rat mit sich führte. Am darauffolgenden Tag erschienen bereits über 1.000 Bürger vor dem Rathaus und bekräftigte das Anliegen. Der Innere Rat wusste keinen anderen Ausweg, als die Übermittlung der Bittschrift an den Statthalter zu versprechen, trotzdem wurde das Rathaus gestürmt. (Jahrbuch, S. 85)

Am nächsten Sonntag kam es im Landtag zu einer heftigen Debatte über die von den Städten begehrte „Klausel von der Religion“. Die Debatten überschritten aber nie den Rahmen, ganz anders dagegen gestaltete sich die Situation in der Hofburg. Am frühen Morgen versammelte sich dort eine unerwartet große Menschenmenge. Man war in der Nacht von Haus zu Haus gegangen und hatte die Leute verständigt. Nun standen „Äußere Räte und Gerichtsbeisitzer, lediger Pofel und hauseigesessene Gemein“ aber auch Meister und Gesinde, Männer Frauen und Kinder standen nun im Hof der Burg in deren Kapelle der Erzherzog eben selbst die Messe hörte. Die Menge war unbewaffnet, aber die Leibgarde hatte die Menschenmasse bis in den Schweizerhof hinein vorgelassen, also wirkte die Lage auf den Habsburgischen Regenten doch einigermaßen bedrohlich. Erst nach einiger Zeit konnte der Weg des Erzherzog so weit geräumt werden, dass er in der ersten Stube hinter dem Schweizertor eine 15-köpfige Abordnung empfangen konnte. Zwar sicherte er zu, das Anliegen der Bürger dem Kaiser vorzutragen, seine Miene allerdings ließ keinen Zweifel daran, was er davon hielt. Die Menge blieb währenddessen ruhig. Als sich der Statthalter am Fenster zeigte, kam es zu dem berühmten „Kniefall der 5.000“ denn, die Menschen beugten demütig ihr Knie vor dem Herrscher und baten um seine Gnade. (Jahrbuch, S. 86)

Die starke Geste, die den Herrscher in Zugzwang bringen sollte, verhallte ungehört. Erzherzog Ernst gab zwar nicht nach und verwies auf all die bestehenden Erlässe, doch er verzichtete auch darauf, die Rädelsführer. (Stögmann, S. 509f.)

Der Streit der Konfessionen blieb auch nach diesem 19. Juli 1579 noch lange – auch nach dem 30-jährigen Krieg – das dominante Thema der Politik – doch das ist eine andere Geschichte!

 

Im Bild von Hans Lautensack ist zwar nicht die Sturmpetition abgebildet sondern ganz im Gegenteil ein höfischer Anlass - nämlich in Turnier anlässlich des Besuchs des Bayrischen Herzogs in Wien – aber der Stich aus dem Jahr 1560 gibt den Bauzustand des Burghofs zu der Zeit wieder, als die Wiener Bürger ihren Herrscher „bestürmten“

Bildnachweis:

Hans Sebald Lautensack (Radierer), Fußturnier auf dem Burgplatz am 13. Juni 1560 anlässlich des Besuchs von Herzog Albrecht V. von Bayern in Wien (aus Francolins Turnierbuch), 1560, Wien Museum Inv.-Nr. 110431, CC0 (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/189767/)

 

Quellen und Infos:

Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich, 70. Jahrgang, Wien 1954.

Martin Scheutz, Der "Kniefall der 5.000" im Jahre 1579 und die Strategien der Rekatholisierung. Die Residenzsstadt wien und der Beginn der barocken Konfessionskultur. In: Rudolf Leeb/Walter Öhlinger/Karl Vocelka, Brennen für den Glauben, Wien nach Luther, Wien 2017.

Arthur Stögmann, Staat, Kirche und Bürgerschaft: Die katholische Konfessionalisierung und die Wiener Protestanten zwischen Widerstand und Anpassung (1580-1660). In: Andreas Weigl, Wien im Dreißigjährigen Krieg: Bevölkerung - Gesellschaft - Kultur – Konfession, Köln/Wien 2001.

Karl Vocelka, Kirchengeschichte. In: Peter Csendes/Ferdinand Opll, Wien. Geschichte einer Stadt, Band 2, Wien/Köln/Weimar 2003.

Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Bd. 2, Wien 2003.

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Sturmpetition